Montag, 13. Oktober 2025

Mein Treffen mit Präsident Trump




Spontan fliege ich schon wieder in die Schweiz. Kaum habe ich den Entschluss gefasst und einen Flug gebucht, wird bekannt gegeben, dass Präsident Donald J. Trump höchstpersönlich Israel beehren und in der Knesset eine Ansprache halten wird. Ausgerechnet am Montag, dem Tag meiner Abreise!

In den dramatischen Stunden davor werden – nach Trumps Plan – endlich alle Geiseln freigelassen, auf die wir zwei lange Jahre inbrünstig gewartet haben. Wer hätte gedacht, dass dieser Horror tatsächlich ein Ende haben wird! Ganz Israel befindet sich in einem historischen Freudentaumel. Wir möchten Trump die Füsse küssen, auch wenn er ein chauvinistisches Ekel und eine kulturelle Banause ist. Soll sich doch die ganze Welt über den Mann mokieren, der an Staatsbanketts auf Ketchup besteht. Es ist uns egal. Unsere Brüder und Schwestern sind endlich frei, bei ihren Familien! 

Doch das Timing ist denkbar schlecht. Es hat das Potential für einen logistischen Albtraum: Mein Flug hebt nur zehn Minuten nach Trumps Landung ab!

Die Vorbereitungen am Flughafen Ben-Gurion und den zuführenden Verkehrsachsen laufen in den Stunden vor Trumps Ankunft auf Hochtouren. Die Schnellstrasse nach Jerusalem, die Hauptzufahrtstrasse an den Flughafen, ist gesperrt. Der Flughafen ist von bewaffneten Sicherheitskräften umzingelt. Und der Luftraum? Werden wir fliegen?
Immerhin hat man den Zugverkehr „intensiviert“ und ich reise trotz der Verkehrseinschränkungen bequem und pünktlich an.

Genau zur Zeit meines Abflugs findet am Ben-Gurion-Flughafen die grosse Begrüßungszeremonie statt. Präsident Herzog, Premierminister Netanyahu, Frau Netanyahu, die gesamte nationale Prominenz versammelt sich.
Und ich, mittendrin. 

Doch entgegen aller Befürchtungen verläuft mein Check-in wie am Schnürchen. Ich sitze rechtzeitig im Flugzeug. Kein Agent des Secret Service hält mich versehentlich auf. Kein Gedränge. Kein "Balagan". Nur eine Menge Israelis, die in diesen historischen Momenten der Weltgeschichte wie Bessessene über alle möglichen Bildschirme an den Nachrichten hängen.

Kurz vor dem Abflug spähe ich neugierig aus dem Fenster. Die eindrückliche Maschine der Air Force One ist eben angerollt. Da liegt der rote Teppich – und da – sind das nicht King Bibi und seine Frau Sara? 
Und dann sehe ich IHN, Präsident Trump, wie er mit wehenden orangen Haaren die Gangway hinunterschreitet.

Unsere Blicke treffen sich. Die Zeit steht still. 
Ich winke. 
Er winkt zurück.

Melania verengt die Augen zu gefährlichen Schlitzen – aber ich bleibe standhaft. Ich blinzle Präsident Trump verschwörerisch zu und flüstere durch das Doppelfenster ein leises „Danke!“

Dann heben wir ab. Ich bestelle einen Orangensaft und lehne mich zurück, in der Gewissheit auf den Beginn einer neuen politischen Realität im Nahen Osten.

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Was wahr ist an der Geschichte:
Ich fliege in die Schweiz.
Präsident Trump landet genau zur Zeit meines Abflugs.
Natürlich bekomme ich ihn nicht zu Gesicht.
Während ich fliege, hält Trump eine Rede in der Knesset.
Zwanzig lebende Geiseln sind endlich frei!





Sonntag, 12. Oktober 2025

Vermeidbares Leid

In meinem Beitrag "die Kindertränen-Show" schrieb ich vor einigen Tagen, dass auch in Israel erschütternde und verzweifelte Schicksale existieren. Geschichten, die in deutschen Talkshows nicht erzählt werden, weil sie nicht in das gängige Narrativ passen. 

Einer von ihnen war Roee Shalev, ein junger Mann im Alter von Sivan, aus einem Dorf in unserer Gegend, ein Überlebender des Nova-Festivals. Am Morgen des 7. Oktobers suchten Roee, seine Partnerin Agam und ihre Freundin Hili auf dem Festival-Gelände unter zwei Autos Schutz vor dem Kugelhagel. Neben ihm wurden Agam und Hili aus nächster Nähe erschossen. Roee überlebte mit mehreren Schusswunden, nach langen Stunden, in denen er hilflos neben den zwei Ermordeten lag. Gefangen in einen Albtraum, der kein Ende fand. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr nahm sich seine Mutter Rafaela das Leben, sie konnte den Schmerz ihres Sohnes und die Bilder des Grauens nicht ertragen. Und nun, zwei Jahre später, hat auch Roee am Freitag seinem Leben ein Ende gesetzt. „Ich halte diesen Schmerz nicht mehr aus, ich verbrenne innerlich“, schrieb er in seinem Abschiedspost.

Es gibt in Israel unzählige solcher Geschichten. Sie bleiben in Europa ungehört, denn sie passen nicht in die politische Debatte. Stattdessen zeigt man Bilder palästinensischer Kinder und fragt hinterlistig nach Verhältnissmässigkeit. Als wäre Leid vergleich- oder messbar. Als gänge es den Israelis um Rache. 

Am Montag sollen alle Geiseln – Tote wie Lebende – freikommen. Ganz Israel hält den Atem an, zwischen vorsichtiger Euphorie und banger Erwartung. Wenn alles gelingt, könnte dieser Montag einer der grössten Freudentage der letzten Jahre werden.

Einer der Geiseln ist Bar Kupperstein, ein aufrichtiger, fleissiger junger Mann, der als Sicherheitsmann beim Nova-Festival arbeitete. Mit seinem Einkommen unterstützte er seine Eltern, von denen der Vater nach einem Unfall schwerbehindert ist. Viele Israelis kennen ihre Gesichter: der Vater im Rollstuhl sitzend, unter grosser Anstrengung artikulierend und nur schwer verständlich, die Mutter erschöpft von der Last, die Familie mit den besonderen Bedürfnissen durchzubringen.
Auf einem der Videos, die die Terroristen am 7. Oktober verbreiteten, sieht man Bar am Boden liegen, die Hände gefesselt. Als er bemerkt, dass die Mörder filmen, nennt er geistesgegenwärtig seinen Namen, in der Hoffnung, jemand möge ihn erkennen.

Zwei Jahre! Zwei Jahre voller Ungewissheit, Schmerz und unfassbarem Leid.
Auch ich wünsche mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass diese Unschuldigen endlich freigelassen werden. Dass der Montag ein Tag der Freudentränen wird.

Doch bei aller Euphorie – ich komme nicht umhin, zu denken – wie viel einfacher wäre alles gewesen, wie viel Leid wäre vermeidbar gewesen, hätte man diese Menschen gar nicht erst verschleppt.




Dienstag, 7. Oktober 2025

Zum 7. Oktober

Über den 7. Oktober 2023, der alles verändert hat.

Über zwei Jahre täglicher Kampf mit dem Trauma.

Über den heutigen Gedenktag.

Über einen Krieg, der nicht am 7. Oktober begann – aber seit diesem Tag jede Grenze sprengt.

Über das ständige Ringen mit dieser unerträglichen neuen Realität.

Über die Geiseln, die seit zwei Jahren in Gaza festgehalten werden.

Schreibe ich heute nichts.







Freitag, 3. Oktober 2025

Die Kindertränen-Show

Ich habe mir in diesen Tagen die ZDF-Diskussionssendung von Martin Lanz vom 30. September über den Krieg in Israel und Gaza und den neuen „20-Punkte-Plan“ angesehen. Schade, dass ich nicht zu der Diskussion eingeladen war. Ich hätte sehr Grundlegendes beitragen können.

Immerhin, die souveräne Melody Sucharewicz liess sich von den drei voreingenommenen Diskussionspartnern nicht kleinkriegen. Sie stellte mit Nachdruck anti-israelische Positionen infrage und wies ihre Kontrahenten mit schlagkräftigen Beispielen und pointierten Argumenten in die Schranken. Auf einer ganz anderen Ebene fand ich auch ihre gewaltige blonde Lockenpracht hinreissend.
Wer hingegen das anti-israelische Narrativ bedient, fand vermutlich Daniel Gerlach, Chefredakteur des Nahost-Magazins „zenith“ überzeugend.
Ebenfalls auf dem Podium war Katrin Glatz-Brubakk, eine Kinderpsychologin von Ärzte ohne Grenzen. Sie berichtete eindringlich von ihrer Arbeit im Gazastreifen, von den fast unmöglichen Bedingungen der humanitären Hilfe und von zutiefst erschütternden Schicksalen verletzter und traumatisierter Kinder. Bilder von einigen der Kinder wurden gross im Hintergrund eingeblendet. Das kann keinen kalt lassen. Das Engagement von Frau Glatz-Brubakk ist zweifellos bewundernswert. Unter grossem persönlichen Risiko gibt sie ihren Mitmenschen und ihrem eigenen Leben Sinn. Ich nehme an, dass sie auch politische Meinungen hat, in dieser Talkshow sprach sie aber nicht darüber.

Dass es für Kinderpsychologen auch in Israel viel Arbeit gäbe, ist ein anderes Thema. Mit den am 7. Oktober ermordeten Kindern könnte zwar auch Glatz-Brubakk nicht mehr arbeiten, aber mit den Traumatisierten schon. Wo sind die Ärzte ohne Grenzen für die Kinder von Sabine Taasse, für Avigail, Michael und Amalia aus Kfar Aza, für Ariel aus Nir Oz, um nur einige Beispiele zu nennen? Wo bleibt die internationale Unterstützung für die Hunderttausenden israelischer Kinder, deren Alltag von nächtlichen Fluchten in Schutzräume geprägt ist?

Aber das interessiert in Europa keinen. In Israel wächst schliesslich das Geld auf den Bäumen und demzufolge können sich die Israelis um sich selbst kümmern. Ausserdem haben sie den Iron Dome, das Abwehrsystem – das dort auch vom Himmel zu fallen scheint. 
Ob nun diese oder jene Argumente Propaganda sind, diese oder jene angeführten Beispiele der Wahrheit entsprechen – darum sollte es jedoch gar nicht gehen. Der ganze Diskurs verläuft in eine komplett falsche Richtung. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres.

Warum wird dem Leid der Kinder so viel Raum gegeben? Diskutiert man etwa darüber, ob der Krieg schrecklich sei oder nicht? Wissen wir das nicht schon? Oder geht es einfach nur darum, Israel als Sündenbock herbeizuziehen?
Aber vor allem wird in deutschen Medien einmal mehr vermittelt:

Krieg muss um jeden Preis verhindert werden.

Krieg ist das grösste moralische Tabu dieser Gesellschaft. Ein Reflex, der angesichts des kollektiven Traumas des Zweiten Weltkrieges nachvollziehbar ist. Doch genau darauf sollte der mediale Fokus in Deutschland gerichtet werden.

Der Zweite Weltkrieg endete nicht durch Friedensappelle, sondern durch massive militärische Gewalt. Ganze deutsche Städte wurden ausgebombt. Das war brutal und schrecklich – doch ohne dieses Eingreifen wäre der systematische Völkermord nicht gestoppt worden. Die Befreiung von Konzentrationslagern wäre ausgeblieben oder sehr viel später erfolgt. Millionen weitere Opfer wären die Folge gewesen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs durch massive Gewalt führte zu einer klaren Zäsur in der Weltgeschichte. Wäre es nicht dazu gekommen, hätten wir möglicherweise kein klares Ende erlebt, sondern ein Fortbestehen der faschistischen Diktaturen, eine Ausweitung der Gewalt gegen Zivilisten und womöglich noch zerstörerischere Konflikte in den Jahrzehnten danach.


Das sind Spekulationen. Sicher ist: Hätte es 1944 schon Talkshows gegeben, hätten sich Kinderpsychologen über die fürchterlichen Schicksale der Kinder in den Trümmern in Ekstase reden können. Und Herr Lanz hätte den Diskussionsteilnehmer der alliierten Streitkräfte gefragt „Zum Begriff der Verhältnismässigkeit – können sie damit etwas anfangen?“

Worüber wir wirklich sprechen sollten: Krieg ist schrecklich. Doch ihn nicht zu führen, ist leider nicht immer eine Option. Zerstörerische Ideologien haben in den letzten Jahren, ohne dass jemand etwas dagegen unternommen hätte, immense militärische Kapazitäten aufgebaut. Sie sind zu einer echten globalen Bedrohung geworden. Das nicht wahrhaben, ist fatale Ignoranz.
Wenn eine Seite kompromisslos kriegerische Absichten hat und die andere Seite jeden Konflikt um jeden Preis vermeiden will, ist das Ergebnis absehbar. Deshalb wäre es ehrlicher, weniger über Einzelschicksale zu reden – so erschütternd sie sind – und stattdessen mehr über die Konsequenzen des Nicht-Handelns und über die Verantwortung, die sich daraus ergibt. Das Beweinen der Kinder in Gaza, ohne den wirklichen Elefanten im Raum anzusprechen, hilft niemandem, am allerwenigsten den Kindern in Gaza.


Noch etwas fürs Auge: das Nabi-Jusha Gebiet in Obergaliläa








Dienstag, 30. September 2025

Jerusalem



Gibt es eine packendere, eine widersprüchlichere, eine verrücktere Stadt als Jerusalem?
Unser Tag beginnt an einem Freitag zwischen den Feiertagen im lebendigen Chaos des Shuk Machane Yehuda. Wer das Gedränge nicht mag, sollte jedoch freitags besser einen Bogen um den Markt machen. Die engen Gassen sind von Menschen überfüllt. Berge aus frischem Obst und Gemüse locken, sowie ein vielfältiges Angebot an Gewürzen, Gebäck, Tee, frisch gemahlenem Kaffee, Halva und lecker riechenden exotischen Speisen. Ausserdem schiessen in den letzten Jahren hippe Bars wie Pilze aus dem Boden. Sie laden ein, bei einem Getränk und feinen Häppchen das Wochenende einzuläuten und das Treiben zu beobachten. Hier trifft die ganze Bandweite Jerusalems aufeinander: säkulare Geniesser, religiöse Juden beim Schabbat-Einkauf, arabische Verkäufer, junge Trendsetter. 
Nachdem wir einige Runden durch das Getümmel gedreht haben, verstauen wir unsere Einkäufe im Auto und spazieren in Richtung Altstadt.



Kurz vor dem Mamilla-Center machen wir Halt im Café Sira. Mehrere verwinkelte Räume sind über und über bedeckt mit Graffiti und Stickern, die keinen Zentimeter Wand blank lassen. Hier treffen sich vor allem linksliberale Studenten. Sie tragen Secondhand-Mode, viele sind tätowiert. Der Geruch von Marihuana hängt in der Luft. Am Tresen werde ich gefragt, ob ich meinen Cappuccino mit Soja- oder Mandelmilch möchte. Wie auch immer – er ist stark und schmeckt perfekt.

Gestärkt laufen wir weiter bis zum Damaskustor, kommen aber zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt dort an. Ein Strom von muslimischen Gläubigen kehrt vom Freitagsgebet auf dem Tempelberg zurück. Tausende Männer und wenige Frauen und Kinder strömen in einem nicht abreissenden Strom aus dem Tor, das wir gerade betreten wollten. Viele der Männer tragen lange helle Gewänder und traditionelle Bärte, zu abrasierten oder sehr kurz geschnittenen Schnurrbärten. Die Frauen sind züchtig verschleiert, die Kopftücher liegen eng am Haupt und verdecken meisst auch die Stirne. Einige tragen Vollverschleierung inklusive dem Niqab, dem Gesichtsschleier. Der Gedanke, uns in entgegengesetzter Richtung in diese Menschenmenge zu stürzen, ist nicht gerade einladend und so setzen wir uns auf die Treppe vor dem Tor und bestaunen die überwältigende, so fremdartig wirkende Menschenflut. Der Strom nimmt kein Ende! Das war zu erwarten, denn das Freitagsgebet wird jeweils von mehreren Zehntausend Menschen besucht. Wir sitzen eine Weile da, dann ändern wir spontan unsere Pläne und besteigen den Bus in die ehemalige Deutsche Kolonie.



Dort, wo früher Güterzüge zum Hafen in Jaffa fuhren, verläuft heute auf den Gleisen ein belebter Fuss- und Radweg, flankiert von Food-Kiosken aller Art. Die restaurierten Templerhäuser tragen teilweise deutsche Inschriften. Nach dem orientalischen Gewusel am Damaskustor mutet die Stimmung hier entspannt und europäisch an. Junge, liberal-religiöse Familien schlendern vorbei. Sie verweilen in den Kiosken, trinken etwas, Kinder essen Eis. Die Männer tragen kurze Bärte und Kippa, die Frauen Hosen oder Röcke in allen Längen und Kopfbedeckungen aus modisch ins Haar geflochtenen Tüchern.
Nach einem kleinen Imbiss und einer Zickzack-Tour durch das Quartier wagen wir uns noch einmal in Richtung Altstadt. 

Durch das Zionstor gelangen wir ins armenische Viertel und vorbei an griechischen Klöstern und Gebetshäusern zur Grabeskirche. Unterwegs kaufen wir bei einem arabischen Strassenhändler frische Datteln. Der junge Mann vermutet in Eyal einen Araber und benennt den Preis für ein Kilo Datteln auf Arabisch mit „thamaniya“ – acht. Dann bemerkt er seinen Irrtum und korrigiert auf das Hebräische „esser“ – zehn.



Obwohl ich schon unzählige Male in der Grabeskirche war, überwältigt mich die Atmosphäre jedes Mal aufs Neue. Der besondere Lichteinfall, der Duft von Weihrauch, die Gesänge verschiedener christlicher Konfessionen, die alle an diesem Ort zusammenfinden – sie erzeugen eine zutiefst eindrückliche Stimmung von Exotik und Spiritualität. 
Gleichzeitig mit uns besucht ein kirchliches Oberhaupt die Kirche. Begleitet von mehreren schwarz gekleideten Würdenträgern mit langen Bärten, Talaren und kunstvollen Stolen wandelt die Delegation durch die heiligen Räume. Als sie durch das grosse Tor und über den Platz vor der Kirche prozessieren, trommeln ihre verzierten Pastoralstäbe in einem machtvollen Ritual rhythmisch auf den Jerusalemer Steinboden. Passanten bleiben stehen. Man kann das ungewöhnliche Schauspiel weder übersehen noch überhören. 

Um uns eine Meinung darüber zu verschaffen, wer in diesem Wettbewerb der skurrilen religiösen Traditionen am besten abschneidet, gehen wir zum Einbruch des Schabbats weiter zur Klagemauer. Der Platz füllt sich minütlich mit Männern, Frauen und Kindern in festlicher Kleidung.
Ein bekannter Rabbi trifft zum Gebet ein. Hier ist es nicht das rhythmische Aufschlagen wertvoller Bischofsstäbe, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern eine schwarze Limousine, die über den ansonsten verkehrsfreien Platz gefahren und sofort von einer Menschentraube umringt wird. Ein kleines, gebücktes Männchen entsteigt dem Auto und verschwindet, in einen Gebetsschal gehüllt und begleitet von zahlreichen Männern in schwarzen Anzügen und weissen Hemden, in der Synagoge.
Sämtliche Frauen auf dem Platz tragen lange Kleider oder Röcke, die sephardischen Männer schwarze Anzüge und Hüte oder einfache Kippot. Die aschkenasischen Orthodoxen hingegen tragen schwarze Kaftane, Kniestrümpfe und die charakteristischen Shtreimel-Hüte aus Pelz.



Am Ende des Tages fahren wir mit dem Taxi zurück, denn der öffentliche Verkehr ist nun wegen des Schabbat eingestellt.
Der redselige Taxifahrer winkt pragmatisch ab, als wir uns über die extreme ethnische und religiöse Vielfalt äussern. „Wir Jerusalemer sind das gewohnt“, meint er. „Jeder kennt seinen Platz, und so funktioniert das Zusammenleben.“ 
Ganz überzeugt bin ich nicht. Eher wirkt es, als lebten die Menschen hier auf einem Pulverfass, das jederzeit explodieren könnte.

Und doch – im historischen Vergleich ist die heutige Koexistenz bemerkenswert friedlich, trotz aller Spannungen.
Das war nicht immer so. In einer konfliktreichen Geschichte wechselte die Vorherrschaft über Jerusalem immer wieder zwischen den Religionen ab, wobei die anderen Religionen ebenso abwechselnd manchmal geduldet, manchmal unterdrückt und manchmal vertrieben wurden. Nachdem die UNO 1947 die Teilung des britischen Mandatsgebietes in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat beschlossen hatte, verhinderte das Königreich Transjordanien den palästinensischen Staat, in dem es sich 1948 das Westjordanland und Ost-Jerusalem gewaltsam einverleibte und bis 1967 besetzt hielt. Die Jordanier vertrieben die jüdische Bevölkerung, zerstörten alle Synagogen und verboten den Juden den Zugang zu ihren heiligen Stätten. Neunzehn Jahre lang gab es keinerlei jüdische Präsenz in der Altstadt. Auch Christen litten unter wirtschaftlichen und politischen Einschränkungen. Erst nach dem Sechstagekrieg erhielten 1967, unter der Verwaltung Israels, alle Religionen wieder Zugang zu ihren heiligen Orten.
Seither verwaltet Israel die Altstadt politisch, während die religiöse Verwaltung der wichtigsten muslimischen Stätten bei jordanischen Behörden liegt.

Jerusalem polarisiert. Es ist chaotisch, widersprüchlich, unruhig, voller Spannungen. Mystik und Spiritualität sprechen hier aus jedem Stein und sind zugleich gelebter Alltag. Jerusalem ist zweifellos ein ewiges Pulverfass. Mich persönlich fasziniert diese Stadt der Extreme immer wieder aufs Neue.


Dienstag, 9. September 2025

Meine Reise ins Judentum





Meistens schreibe ich nicht mit der Absicht, andere zu unterhalten, sondern eher um mich selbst besser zu verstehen. Durch das Jonglieren von Worten und das Hin- und Herschieben von Sätzen und Abschnitten wird mir etwas klarer, was ich wirklich denke und empfinde. Wie ein Bildhauer habe ich eine Vorstellung, was dieses Etwas in ungefähr sein sollte, aber erst durch das Ausarbeiten nehmen meine Gedanken und Gefühle Gestalt an. Unklarheit oder Durcheinander bringen meine Seele aus dem Gleichgewicht. Das ist eine erschwerende Eigenschaft für ein Leben in einem Land wie Israel, das der absolute Inbegriff eines heillosen Durcheinanders ist. Deshalb versuche ich, wenigstens meine eigene Stube einigermassen in Ordnung zu halten. Wenn dann auch noch die Gedanken schön säuberlich geordnet auf dem Papier vor mir liegen, atme ich auf. Es beruhigt mich, und oft überrascht mich sogar, was dabei hervorgekommen ist.
In diesem Beitrag habe ich versucht, Gedanken, Erinnerungen und Erfahrungen zu ordnen, die mich über Jahrzehnte begleitet haben. Wie fühlt es sich an, in eine völlig fremde Religion hineinzuwachsen?
Es handelt sich nicht um eine religiöse Abhandlung, sondern um einen sehr persönlichen Erfahrungsbericht. Ich lade euch ein, mit mir einen Blick in meine Welt zu werfen.

Ein Dorf ohne Vielfalt

Zum ersten Mal begegnete ich einer mir fremden Religion als kleines Mädchen in „Mirjam aus Israel“, einem wunderbaren Kinderbuch der Autorin Anna Riwkin-Brick. Es schilderte die Vorbereitungen und Feierlichkeiten für den Schabbat der kleinen Mirjam mit ihrer Familie und Gemeinschaft in Israel. Ich liebte das Büchlein, die Fremdheit und das Unbekannte faszinierten mich. In meiner Erinnerung strahlten die schwarz-weiss Fotografien eine festliche Ruhe, Frieden und Geborgenheit aus.
Dass uns unsere Eltern dieses Buch zugänglich machten, war ein kleiner, aber bedeutender Schritt, mit welchem sie den Grundstein für Offenheit und Toleranz in unserer Erziehung legten. Dabei mussten in meinen Kinderjahren diese wichtigen Werte gar nie auf die Probe gestellt werden. Es gab damals nämlich weder in unserem Dorf, noch in unserem Bekanntenkreis Menschen anderer Religion, Hautfarbe oder Ethnie.

Erste Begegnungen und eine verpasste Chance

Erst im Gymnasium begegnete ich in meiner Klasse erstmals zwei jüdischen Mitschülern. Ich hatte damals keine Ahnung, was es mit ihren seltsamen Traditionen auf sich hatte – ich wusste rein gar nichts über das Judentum. Ich lernte, Vokabeln zu deklinieren, Molière und Shakespeare zu interpretieren und ich bekam ein grundlegendes Verständnis von Mathematik, Physik und Chemie. Rückblickend finde ich es skandalös, dass die Schule keine Möglichkeit bot, andere Glaubenswelten, ja die Glaubenswelten unserer Klassenkameraden kennenzulernen. Wie bereichernd wäre es gewesen, von den jüdischen Schulfreunden oder deren Familien über ihre jahrtausendealte Religion zu lernen. Was für eine verpasste Chance! Ob wohl heute persönliche Begegnungen mit Vertretern der verschiedenen Religionen Teil des Lehrplans sind? Sie könnten helfen, Vorurteile abzubauen und ein tieferes Verständnis füreinander zu schaffen. Oder ist dieser Zug etwa schon abgefahren? 




Zufall Israel – ein Neubeginn

Nach der Matura führte mich der Zufall nach Israel. Ich war abenteuerlustig, doch mein Wissen über das Land, seine Geschichte oder die Religion war immer noch ungefähr auf dem Stand jenes Kinderbuchs.
Doch nun begann – durch unmittelbares Erleben – mein Lernprozess. Jeder Tag, jede Begegnung und jedes Gespräch eröffneten neue Einblicke. Ausserdem las ich unzählige Bücher: über jüdische Schicksale, historische Ereignisse, Autobiografien und Werke jüdischer Autoren. Natürlich hatte ich bald einen israelischen Freund. Bei seiner Familie lernte ich die Feste, Traditionen und das wöchentliche Schabbatmahl kennen, an dem die ganze, stetig wachsende Familie teilnahm.
In dieser traditionell-religiösen Familie wurden der Schabbat und die Kashrut-Gesetze eingehalten und die Feiertage wurden mit allen Besonderheiten der Traditionen der irakischen Juden gefeiert.
Eine Heirat mit einer Nicht-Jüdin hätte einen schweren Bruch bedeutet. Auch für Eyal war und ist die Zugehörigkeit zu seinem Volk ein unverrückbarer Bestandteil seiner Identität.
Für mich hingegen, einer in Europa sozialisierten Frau, die mit der Kirche überhaupt nichts am Hut hatte, war Religion ausschliesslich eine Formalität: ein Eintrag in meiner (israelischen) Identitätskarte, mehr nicht.

Prüfung des Glaubens

Die orthodoxe Konvertierung zum Judentum war eine ernsthafte Angelegenheit, die fast zwei Jahre dauerte. Ich besuchte einen intensiven Abendkurs, in dem ich mir Wissen über die Traditionen, die Gebete, die Schriften und die Werte der Religion aneignete. Unser Lehrer war charismatisch, der Unterricht interessant und die Mitschülerinnen angenehme Kolleginnen. Dass von Eyal und mir erwartet wurde, jeden Schabbatmorgen in der Synagoge zu verbringen, fanden wir weniger spannend – lieber hätten wir ausgeschlafen. Doch das Jahr ging vorbei, ich bestand die ersten Prüfungen, die Wissen über Feiertage und die jüdischen Gesetze und Schriften abfragten.

Schlotternde Knie vor den Rabbinern

Vor dem Rabbinatsgericht rasselte ich jedoch grandios durch. Wie hätte ich junge weltliche Frau, die vor allem sehr verliebt war, vor den drei bärtigen glaubensfesten Weisen bestehen können? Alleine ihr Anblick besorgte mir schlotternde Knie und lähmte mir die Zunge. Die dann folgende Frage „was bewegte Abraham, den Stammvater des Judentums, an einen einzigen Gott zu glauben“ paralysierte endgültig mein Denkvermögen.
Um uns zu zermürben, auferlegten die Rabbiner Eyal einen Kurs an einer Talmudschule, einem „Kollel“. Doch sollte er dafür etwa das Studium unterbrechen? Entmutigt sahen wir unsere jüdische Heirat in die Ferne rücken.

Nur ein Eintrag?


Einige Monate später wurde mir trotz allem eine weitere Chance eingeräumt. Ich war bestimmt nicht überzeugender, aber die Rabbiner waren milde gestimmt, oder sie hatten einfach nur gerade einen guten Tag. Es folgte das rituelle Eintauchen in die Mikwe und ich erhielt tatsächlich meinen „administrativen Eintrag“: Ich war Jüdin!
Doch meine Vorstellung von Gott hatte sich mit den aktualisierten Personalien nicht geändert. Ich konnte Religion und Glauben nichts abgewinnen, sie blieben für mich zunächst belanglos. 
Erst im Laufe der Zeit wurde mir klar, wie grundlegend anders mein im Christentum sozialisiertes Weltbild war. Während man Religion in der zunehmend säkularisierten westlichen Welt vielleicht als administrative Angelegenheit abtun kann, ist sie im Judentum unendlich viel mehr. Sie ist Identität, Geschichte, Volk und Schicksal. Einmal aufgenommen, kann man dieser Zugehörigkeit kaum entkommen, denn sie prägt nicht nur das individuelle Leben, sondern Generationen.




Langsames Hineinwachsen

Im Laufe der Jahrzehnte, und je mehr ich die Israelis kennenlernte und selbst eine wurde, je vertrauter ich mit dem israelischen Selbstverständnis und im tieferen Sinne mit der Identität, der Geschichte und dem Schicksal des jüdischen Volkes wurde, wuchsen in mir anerkennende Hochachtung und bedingungslose Liebe zum Judentum. Heute fühle ich mich geehrt und bereichert, diesem Volk anzugehören. Ich werde mich vielleicht nie vollkommen eingeschlossen fühlen, doch ich verehre und liebe das Volk, seine Religion und seine Werte zutiefst.

Warten auf das Jenseits

Ich bin römisch-katholisch erzogen worden. Es gab Gebete, regelmässigen Kirchgang, die Beichte und festliche Feiern. Ich sollte anständig und sittsam sein und mich der weniger privilegierten Geschöpfe erbarmen. Gott sieht alles und bestraft unsere Verfehlungen.
Doch das alles hatte für mich immer etwas Unwirkliches und ich konnte keine Verbindung zu mir selbst oder meinem Leben herstellen. Die eigentliche Erfüllung lag ja ohnehin erst im Jenseits, in einem fernen Himmelreich. Mit der Vorstellung, dieses Leben sei nur eine Vorbereitung oder ein Prüfungsraum für das kommende Reich Gottes, konnte ich nichts anfangen.
Als Kind empfand ich die göttliche Allgegenwart eher als einengend und beängstigend. Als junge Frau war ich überzeugt, bereits charakterlich gefestigt zu sein – vielleicht jugendliche Selbstüberschätzung. Jedenfalls wollte ich keine moralischen Belehrungen, deren Sinn ich nicht erkennen konnte – schon gar nicht von Kirchenvertretern. 

Auch vor dem Samichlaus hatte ich damals schlotternde Knie


Die revolutionäre Idee

Das Judentum ist eine revolutionäre Religion. Sie führte in der vorzivilisatorischen Frühgeschichte grundlegend neue Ideen über Moral, Gesellschaft und das Verhältnis des Menschen zu Gott ein.
Im Judentum ist der Mensch nicht passiver Empfänger göttlicher Befehle, sondern ein Partner, der Freiheit hat, eigene Entscheidungen zu treffen.
In den Kulturen der Frühgeschichte trugen nur Könige, Priester oder Elite Verantwortung. Erst mit dem Judentum konnte der Mensch als Ebenbild Gottes Verantwortung übernehmen und Partner Gottes in der Schöpfung sein. Das war damals eine radikale Idee, die einer sozialen Revolution gleichkam. Der biblische Bund ist eine Partnerschaft zur Gestaltung einer gerechten Welt. Es ist eine jahrtausendealte Geschichte von Bündnis, Verantwortung und Hoffnung.

Verantwortung statt Freiheit ohne Bindung

Während westliche Zivilisation auf individuelle Freiheit und Rechte fokussiert, legt das Judentum besonderes Gewicht auf gemeinschaftliche Verantwortung. Jeder Jude trägt Verantwortung für die anderen – moralisch, religiös und sozial. Nicht nur das eigene Verhalten zählt, sondern auch, wie man der Gemeinschaft hilft, das Richtige zu tun.
Für nicht-religiöse Menschen, vor allem für Nicht-Juden, mag das alles sehr theoretisch oder spirituell verklärt klingen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Diese Werte sind seit Jahrtausenden von Generation zu Generation weitergegeben und verinnerlicht worden. Sie sind tief in der jüdischen Identität verankert, sie prägen und lenken die Nation. Die religiösen Grundsätze sind in Israel lebendiger Alltag. Religion ist nicht ein Relikt in muffigen Gebetshäusern, sondern sie wird gelebt und ist im täglichen Leben greifbar. Für Israelis ist sozialer Zusammenhalt - das aufeinander Achtgeben und füreinander Einstehen - selbstverständlicher Teil des täglichen Lebens. Viele Israelis leisten regelmässig irgendeine soziale Freiwilligenarbeit. Wenn es sein muss, schränken sie dafür ihr Arbeitspensum ein, ungeachtet der Lohneinbusse. 

Der Sinn im Judentum

Erst im Judentum habe ich den tieferen Sinn der Religion verstanden und kann ihm auch etwas abgewinnen: eingebettet in eine Gemeinschaft nach einer besseren, einer gerechteren Welt zu streben. Dieses Bestreben ist in der jüdischen Welt lebendig, greifbar und allgegenwärtig.
Im Judentum ist die Idee einer besseren Welt konkrete Pflicht und alltägliche Praxis, im Christentum bleibt sie oft Vision und Verheissung, die auf das Jenseits verweist.
Weil das Christentum früh Staatsreligion wurde, gab es ausserdem den Machtmitteln eher Priorität als der Ethik einer gerechteren Welt. Das Judentum hingegen musste in jahrhundertelanger Diaspora inmitten anderer Kulturen praktische Wege finden, um Gerechtigkeit und Überleben zu sichern.

Bin ich verblendet?

Ich weiss, meine Hommage an das Judentum ist ein grotesker Gegensatz zum modernen Trend in der westlichen Welt. Israelis werden feindselig betrachtet, ihr Land wird angefeindet, diffamiert, ausgeschlossen. Bin ich vollkommen ignorant, mein positives Plädoyer gerade jetzt zu posten? Was soll das verklärte Gefasel über ein Volk, das gemäss der vorherrschenden Wahrnehmung aus kaltblütigen kindermordenden Bestien besteht?
Irgendjemand ist verblendet. Bin ich es, mit meiner in vier Jahrzehnten langsam gereiften Erkenntnis?
Es wird sich zeigen, irgendwann. 




Ein Licht für die Völker

Das Judentum strebt danach, das gelebte Beispiel einer Gesellschaft zu sein, die sich an Gerechtigkeit, Gemeinschaft und Gott orientiert. Dabei will es nicht missionieren, sondern inspirieren. 
Um die Idee, ein Licht für die Völker zu sein, ist es jedoch derzeit nicht allzu gut bestellt. Die Geschichte wiederholt sich und einmal mehr haben der gezielte Einsatz von Lügen und massiver Desinformation Ausgrenzung, Dämonisierung und Hass zur Folge. Angesichts der landläufigen Meinung über die Israelis müssen die meisten Europäer meine Erläuterungen wohl für blanken Hohn halten.
Es macht ja auch Sinn, dass das Verbessern der Welt keine simple Aufgabe ist, sondern eine schwierige und ewige. Sie scheint in der Tat unlösbar, zwingt zum Weiterdenken, zur Horizonterweiterung, zu immer wieder neuen Ansätzen. So sind die Israelis im Laufe der Geschichte tatsächlich wahre Meister darin geworden, scheinbar Unlösbares zu Umkreisen.
Natürlich ist Israel nicht perfekt, genau sowenig wie die Menschen, die dort leben. Hinzu kommt, dass dem auserwählten Volk auf seinem schwierigen Weg viele Beine gestellt werden. Das fragile Licht, das vorhanden wäre, wenn man es nur sehen wollte, wird immer wieder bedroht.

Stärker als Zeitgeist

Zeitgeist hat auf jüdische Werte kaum Einfluss – wie ein paar heisse Sommertage auf einen jahrhundertealten Baum. Die überlieferten Glaubensgrundsätze bestehen seit Jahrtausenden und sie werden weiterbestehen. Und mit ihnen die Hoffnung, dass eines Tages der passende Zeitgeist kommen und sie anerkennen wird, auch wenn es im Moment gerade überhaupt nicht so aussieht. Trotz aller Tragödien ist das Judentum eine zeitlose Botschaft der Hoffnung. Die Welt ist veränderbar, weil der Mensch und Gott, oder der menschliche göttliche Wille, gemeinsam wirken.

Ein göttlicher Funke

Die Vorstellung einer göttlichen Kraft im Menschen gefällt mir sehr, sie wirkt motivierend. Jedermann, auch aufgeklärte, moderne Menschen tragen einen göttlichen Funken, eine „Nefesh Elohit“ in sich. Ja sogar ich, wenn auch vielleicht nicht sehr ausgeprägt, denn ich bin keine grosse „Zadika“. Doch die Idee scheint mir – im wahrsten Sinne des Wortes – „ein-leuchtend“ und es steht jedermann frei, diesen göttlichen Funken nach eigenem Können und Gutdünken in seinem Leben zu regulieren.





P.S. Die Fotos in diesem Beitrag (ausser natürlich dem Samichlaus) sind aus Nordisrael, von meiner Wanderung auf dem Shvil Israel (Israel National Trail)



Mittwoch, 3. September 2025

Schweizer Idylle, israelische Realität

Wegen des instabilen Gesundheitszustandes meiner Eltern – und dank eines verlockenden Flugangebotes – bin ich schon wieder für eine Woche in der Schweiz.
Nicht nur das Wetter ist hier völlig anders. Es wirkt surreal, wie nicht-existent nur vier Flugstunden entfernt die Probleme sind, die in Israel unseren Alltag bestimmen.

Kein Krieg, keine Raketenalarme. Keine Ehemänner, die seit Monaten im Reservedienst sind, keine Kinder, die als Soldaten in Gaza kämpfen. Keine jungen Männer, für die schrecklichste Kriegssituationen Alltag sind. Keine Gefallenen, keine Verletzten, keine Kriegs- und Terror-Traumata. Keine seit dem 7. Oktober 2023 schmerzlich vermissten Familienmitglieder, Freunde oder Bekannten, die nie mehr wiederkommen werden. Kein Riss in der Gesellschaft, weil man sich über die Rückführung der Geiseln und die Weiterführung des Krieges uneinig ist. Keine unlösbaren regionalen Konflikte, keine ständige Bedrohung durch die Nachbarländer. Keine Achterbahn-fahrende Wirtschaft wegen der Kriegskosten. Keine Alltagsgespräche, die sich alle, aber wirklich alle, nach wenigen Minuten immer um ein einziges Thema drehen: „haMazav“, die „gegenwärtige Situation“.



Fast erscheint mir das Leben in der Schweiz ein wenig leer. Worüber macht man sich hier eigentlich Sorgen? Wo man das Velo abstellen darf und wo nicht? Oder über ein paar Migranten zuviel? In einer Skala von existentiellen Problemen von 1 bis 100 – die ich gerade frei erfunden habe – liegt die Schweiz für mich bei 10. Israel hingegen bei gefühlten 250. 250, das heisst in Worten: nicht mehr auszuhalten.

Gerade heute Morgen gibt es wieder grossflächigen Alarm von Netanya bis Jerusalem wegen Raketen aus dem Jemen. Lianne ist mit dem Auto nach Tel-Aviv unterwegs. Sie ruft mich an und erzählt, jemand habe sie von hinten angefahren, weil alle plötzlich in Panik anhalten oder in alle Richtungen rennen. Sivan lässt in ihrer Tel-Aviver Wohnung die Tomatensauce anbrennen, während sie im Treppenhaus Schutz sucht. Doch was ist schon eine angebrannte Tomatensauce? Nicht der Rede wert.

Hier hingegen läuten friedlich die Kirchenglocken, während ich diese Zeilen schreibe. In den Nachrichten spricht man, wie immer, über Völkermord und Hunger in Gaza.

Die Frage liegt auf der Hand – wo möchte ich sein? Soll ich wirklich nach Israel zurückkehren? 
Natürlich ist das eine eher rhetorische Frage – Israel ist mein Lebensmittelpunkt. Meine Familie lebt dort.

Doch wenn man nur ein wenig tiefer unter die glänzende Oberfläche der Schweizer Idylle schaut, ist die Antwort klar. Die Israelphobie, die Ideologie des Hasses gegenüber dem Staat Israel und all seinen Bürgern, sowie die Verachtung aller Juden weltweit – sie werden in Gesprächen selten ausgesprochen, aber sie sind real. Vielleicht könnte man diese Stimmung eine Weile ignorieren. Die Ruhe und die hohe Lebensqualität in der Schweiz sind tatsächlich verführerisch. Doch hinter der ruhigen Fassade brodelt es gewaltig. Fast alle sind jetzt überzeugt, dass Israel der Bösewicht, der Angreifer, der Täter und der Schuldige ist.

Will ich in einem Land leben, in dem die alten Lügen vom „Juden als Brunnenvergifter“ wieder salonfähig sind? In einem Land, in dem man – in dem mein Volk – gehasst wird?
Dann vielleicht doch lieber Krieg?


Am Freitag geht mein Flug. Bis dahin kann ich es mir noch überlegen – und die Normalität geniessen.









Samstag, 23. August 2025

Ein kleiner Ausflug

„Sehr geehrtes Fräulein S.,
gestatten Sie mir, dass ich mich Ihnen vorstelle? ....
... Ich möchte Sie nun höflich einladen, an das Sommernachtsfest vom nächsten Samstag....
Darf ich Ihren angenehmen Bericht erwarten?
Ich grüsse Sie hochachtungsvoll.“

Der Brief ist auf einen Sommertag vor 67 Jahren datiert. Die Seiten sind schon etwas vergilbt, doch man sieht ihnen an, dass sie sorgfältig aufbewahrt wurden und viel mehr bedeuten, als ein Stück Papier.
Ob die „angenehme Antwort“ ebenfalls per Post erfolgte, oder über die fünfstellige Telefonnummer am Fuss des Briefes, ist mir nicht bekannt.

Sicher ist nur: Im Sommer 1960, zwei Jahre nachdem mein Vater diesen höflichen Brief versandte, heirateten meine Eltern.
Sie bekamen Kinder, bauten ein Haus.

Diesen Sommer fiel mein Besuch bei ihnen just auf den Eisernen Hochzeitstag. 65 gemeinsame Ehejahre. Der Gemeindeammann überbrachte amtliche Glückwünsche und einen Blumenstrauss zum besonderen Jubiläum.
Einen Tag danach wurde meine Mutter ins Spital eingeliefert. Sie ist nun unheilbar krank und wird nicht mehr nach Hause zurückkehren.
Mein Vater, inzwischen 92 Jahre alt, lebt jetzt alleine in dem grossen Haus mit Umschwung, das sie in meinem ersten Lebensjahr gebaut und gemeinsam bezogen haben.
Täglich fahren ihn meine Geschwister, Schwäger und liebe Bekannte ins Spital in der nahe gelegenen Stadt, damit er bei meiner Mutter sein kann.

Das Auto meines Vaters steht noch in der Garage. „Ich mag nicht selbst in die Stadt fahren, ich bin zu müde“, sagt mir mein Vater am Telefon. Wir alle schätzen es sehr, dass er das endlich eingesehen hat. Auch wenn er selbst dem Tod schon ein paar Mal von der Schippe gesprungen zu sein scheint, ist er schwach und, abgesehen von einigen Pausen, immer müde. Er nimmt täglich belastende Medikamente ein.

Doch als zwei Tage in der Folge niemand anbietet, ihn zu fahren, schlägt er seine eigenen Vorbehalte in den Wind und nimmt den Autoschlüssel zur Hand. Er steuert das etwas veraltete, handgeschaltete Auto zielsicher auf die Autobahn und biegt nach einer zwanzig-minütigen Fahrt kurz vor Stadteingang in Richtung Spital ab. Auf wackligen Beinen, mit dem Stock, geht er durch die langen Spitalkorridore zu meiner Mutter.

Für gesunde Menschen mag dieser Weg ein Kinderspiel sein. Für einen alten Mann im Zustand meines Vaters ist er eine prüfende Anstrengung. Eine Kraft, die stärker ist als Müdigkeit, Alter oder Vernunft trägt ihn zu meiner Mutter. Wie in den vergangenen 65 Jahren nehmen sie das Mittagessen gemeinsam ein. Er bleibt noch eine Weile, dann fährt er nach Hause und stellt das Auto wieder in die Garage. Wer weiss, wie oft es noch gefahren werden wird.

Wir hätten wohl nie etwas von diesem kleinen Ausflug erfahren, hätte meine Schwester nicht zufällig angerufen.

Meine Eltern haben im Laufe der Jahre eine symbiotische Verbundenheit entwickelt. Sie begrüssten sich über sechs Jahrzehnte lang jeden Morgen täglich mit einem Kuss. Mehr als einmal nimmt meine Mutter meinen Anruf im Spital mit einem schwachen „Schätzli?“ ab, weil sie meinen Vater am Telefon vermutet.

Ich will nichts verklären. Auch diese Partnerschaft ist alles andere als perfekt, auch unsere Familie alles andere als makellos. Dass mein Vater Auto fährt, ist absolut unverantwortlich. Aber einen kleinen Blogbeitrag, finde ich, hat diese Geschichte einer unerschütterlichen Liebe, die wie aus einer anderen Zeit gefallen scheint, schon verdient.




Mittwoch, 20. August 2025

Fake News oder Pflaumenmarmelade

Es fällt mir zunehmend schwer, diesen Blog weiterzuführen. Angesichts des Ausmasses anti-israelischer Stimmung und Ereignisse in Europa gehen mir die Worte aus. Es war erfrischend, zwischendurch einmal über eine gelungene Wanderung zu schreiben – doch das ist nicht das, was mich im Alltag beschäftigt.
Auch heute Morgen habe ich mich nach einem kurzen Blick in die deutsche Medienlandschaft frustriert gleich wieder ausgeklinkt. Seither versuche ich, meinen Ärger über ein Interview in „Die Zeit“ mit Nimrod Sheffer herunterzuschlucken.
Nimrod Sheffer, ein pensionierter General der IDF, eignet sich mit seiner klaren Gegnerschaft zur Politik Netanyahus hervorragend für das in Europa gängige Narrativ. Stimmen aus anderen politischen Lagern wären leicht zu finden, doch sie würden das eingefahrene Weltbild der Leserschaft nur stören.
Da ist ein beruhigender Bericht über die Herstellung von Pflaumenmarmelade gerade sehr willkommen.

 
Wie mit Fake News ein Narrativ gebildet wird, macht Neville Berman mit „Fake News, zweierlei Mass und Appeasement“ deutlich. Anhand anschaulicher Beispiele zeigt der Artikel auch für nicht-fachkundige Leser nachvollziehbar, wie sich Fake News und Narrative gegenseitig verstärken. Hier geht es zur deutschen Übersetzung.
 
Der folgende Ausschnitt bringt die Kernaussage auf den Punkt:

"Es gibt keinen Zweifel, dass Nachrichten, die erklären oder implizieren, Israel begehe Verbrechen gegen die Menschheit und Völkermord, das ist, was die Mehrheit der 2,4 Milliarden Christen und 2 Milliarden Muslime in den sozialen Medien lesen, hören oder auf dem Fernsehschirm sehen wollen. Es ist ein rund um die Uhr andauernder Angriff auf Israel, begangen von der weit überwiegenden Mehrheit der Nachrichtenmedien der Welt. Es handelt sich um eine Hass-Kampagne auf Grundlage von 2.000 Jahren christlicher Ritualmordlügen gegen Juden und einer islamistischen Ansicht zu muslimischer Weltherrschaft. Ob die Nachrichten wahr oder falsch sind, hat absolut keine Bedeutung. Israel ist schuldig, egal, was Israel macht."


Ungewöhnlich und darum bemerkenswert ist Chaim Nolls Beitrag „Israel nimmt Europa nicht mehr ernst“. Noll kommt zu dem Schluss, dass die Mehrheit der Israelis, besonders die jüngeren, gegen die Stimmung in Europa eine Art Immunität entwickelt hat.

Ich selbst arbeite noch daran, mir diese Immunität anzueignen. Ein wenig beneide ich dabei die israelische Jugend, auf die Noll verweist, um die Gnade, die deutsche Sprache nicht zu beherrschen.
Doch was wäre ich, ohne meine geliebte deutsche Muttersprache? Auch wenn sie mir ermöglicht, nicht nur Erfreuliches zu verstehen.

Das beklemmende Gedicht „ach wenn“ von Ramona Ambs lässt mich nicht mehr los.
Es spiegelt wider, wie deprimierend die aktuelle Atmosphäre in Europa für viele Juden ist.






Donnerstag, 14. August 2025

Ausflug in eine Märchenwelt: Der Panixersee


Morgengrauen in Vuorz

Der Nebel hängt noch tief zwischen den Berggipfeln, man kann die Aussicht nur erahnen. Doch auf dem Balkon unseres Chalet sind alleine die Kälte an einem Julimorgen und das Schauspiel der wandernden Nebelschwaden und Wolken spektakulär. 

Die Mission

Am Vortag um dieselbe Zeit noch in Israel, fand ich mich nach einer Tagesreise im Flugzeug, Zug und Auto in einem Chalet mit fantastischer Aussicht im Kanton Graubünden wieder. Das Wetter war regnerisch und unstabil in diesen Tagen, aber einige trockene Stunden an meinem ersten Tag in Vuorz schienen passend für eine geplante Wanderung.

Mit mir im Chalet wohnen zwei meiner Schwestern, die genau wie ich noch nicht bereit sind, vor den altersbedingten Veränderungen zu kapitulieren: Eine von uns leidet an einer Knieverletzung, sie wanderte nur die ersten paar Kilometer mit und leistete uns dafür geschätzte Fahrdienste. Die zweite Schwester hatte eine akute Achillessehnenentzündung und ich selbst leide an chronischen Knieschmerzen aufgrund von Knorpelverschleiss! Doch an diesem Freitag hatten wir eine Mission: den Panixersee erreichen.
Wir beschlossen, direkt von unserem Chalet loszuwandern. Über das Dorf Andiast und die Weiler Curwengia und Sogn Giusep, mit Blick auf Pigniu auf der rechten Talseite, eröffnete sich nach etwa 9 Kilometern Wanderung unser Ziel, der Lag da Pigniu (Panixersee).



Der steile Irrweg

Die Wege waren angenehm, doch ausgerechnet ein sehr steiler Abschnitt war aufgrund des Regens gefährlich matschig und sogar auf allen Vieren nur schwer zu bezwingen. Da wurde uns schon etwas mulmig und ich informierte mich bei meiner Schwester schon mal, unter welcher Nummer die Bergrettungsdienste zu erreichen wären. Offensichtlich hatten wir aus Versehen gerade die steilere Abzweigung eingeschlagen, die wir gemäss Besprechung am Vorabend eigentlich vermeiden wollten.


Der Lohn: Wasserfälle im Felsamphitheater

Der See belohnte uns für alle Mühe, bei seinem Anblick vergassen wir die schmerzenden Glieder! Der Stausee ist wunderbar in die Berge eingebettet und die imposanten Panixer- und Aua dil Mer Wasserfälle auf der Nordseite des Sees sind der absolute Höhepunkt.


Geheimtipp

Zum Panixersee gelingt man über unzählige Wanderrouten zu Fuss, aber er ist auch mit dem Auto erreichbar! (Abbiegung von der Hauptstrasse H19, die von Ilanz nach Disentis führt, nach Rueun und in Richtung Pigniu) Es gibt einen fast direkt unter der Staumauer liegenden Parkplatz, von welchem aus man den See in etwa einer Stunde umwandern kann. Von dort holte uns die dritte havarierte Schwester mit dem Auto ab. So ergab unsere Wanderung insgesamt etwa 13 Kilometer. Der Weg um den See (etwa 4 Kilometer) führt an einem Ufer auf stellenweise schmalem Pfad an das Seeende und die Wasserfälle und auf der anderen Seeseite auf einem breiteren Weg wieder zurück. Für das Bestaunen der Wasserfälle und vielleicht eine Rast in der Nähe der Fälle, empfehle ich, eine bis zwei weitere Stunden einzuplanen!

Traum oder Wirklichkeit?


Noch immer spüre ich das Donnern und den kalten Sprühnebel der Panixerfälle, höre die Kuhglocken und das Glucksen der Bächlein, rieche das nasse Moos und die klare Bergluft.
Wenn ich an diesen Wandertag und überhaupt die Tage in Vuorz zurückdenke, bin ich nicht sicher, ob es sich um einen Traum handelt, oder ob die Tage in dieser Parallel-Märchenwelt Wirklichkeit waren. Zum Glück gibt es Fotos, auf denen ich tatsächlich drauf bin! Gerade angereist aus dem staubigen, tropisch-heissen und turbulenten Israel, war die Wanderung für mich ein surrealistisch anmutendes Erlebnis. Meine Augen konnten sich nicht satt sehen – während meine Seele noch irgendwo zwischen Tel-Aviv und Zürich unterwegs war.




Es ist eine lange Anfahrt aus der Nordschweiz (und erst recht aus Israel), aber ich hoffe, dass ich irgendwann noch einmal die Gelegenheit haben werde, die Panixerfälle, die Cascada da Pigniu, aus nächster Nähe und mit weniger schmerzenden Knien bestaunen zu können.







Dienstag, 12. August 2025

Jenseits der Schlagzeilen

Massada, Juli 2025


Vermutlich kommen auf diesem Blog auch Menschen vorbei, die sich fragen: "Was meckert sie überhaupt? Klar sind Israelis (und mit ihnen die Juden…) in Europa nicht sonderlich beliebt, wenn man sieht, was Israel im Nahen Osten so treibt." (Unter Bezug auf meinen letzten Beitrag
Viele von ihnen verfügen vielleicht über eine vorgefertigte Meinung, ohne sich im Geringsten irgendwo informiert zu haben.

In meinem Blog schreibe ich mir meine Gefühle vom Herzen und manchmal versuche ich auch, Unaussprechliches in Worte zu fassen.
Ich weiss: Das wird niemanden bekehren, der schon mit einem fertigen Narrativ im Kopf mitliest.

Ich mag keine Aufklärungsarbeit leisten. Es gibt viele, die das tun – und einige tun es hervorragend, standhaft, mutig und unbeugsam. Wer diese Stimmen hören will, wird sie auch finden.

Natürlich würde ich Menschen gerne zeigen, warum die Fährte falsch ist, der sie folgen. Doch es ist schlicht unmöglich, in ein paar Sätzen das Wissen zu bündeln, das ich in vier Jahrzehnten in Israel gesammelt habe: aus täglichen Erlebnissen, Begegnungen, Gesprächen, Eindrücken, unzähligen Büchern und Hintergrundinformationen – meinem Leben.

Man könnte täglich Fakten posten oder Artikel verlinken, die eigentlich jedermann überzeugen sollten.
Aber mal ehrlich: Wer will schon seine eigene Meinung hinterfragen?
Oder, wie Ramona Ambs heute auf Facebook schreibt

"Die Realität scheint den meisten völlig schnuppe zu sein."


Massada, Januar 1985



Samstag, 9. August 2025

Meine Kinder sind keine Monster

Andiast, Kanton Graubünden


Und Schwups – schon ist der Urlaub vorbei. Die Tage mit meinen Kindern in der Schweiz waren intensiv, eine Mischung aus Spass, Freude, Schrecken, Trauer und Sorge. Ehrlich gesagt: Ein bisschen zu viel von allem, um erholsam zu sein.
Wie befürchtet, lag über allem nicht nur der Schatten grosser Sorgen um meine kranken, alten Eltern, sondern noch dazu – als Israelis, ein beklemmendes Gefühl, das uns begleitete: die spürbare Abneigung, der unterschwellige oder offene Hass.

Der Hunger in Gaza ist DAS Thema in der Schweiz. In jeder Nachrichtensendung wird darüber berichtet. Jede Stunde. Beim Autofahren wollen meine Töchter immer wieder, dass ich die Nachrichten übersetzte. Sie hören und verstehen nur … Israel, Gaza, Israel, Gaza.... Gibt es eigentlich noch andere Konfliktherde auf der Welt?
Was ist mit dem Hunger im Sudan, wo über 25 Millionen Menschen akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen sind und etwa 770‘000 Kinder unter fünf Jahren an schwerer Mangelernährung leiden? In welchen Nachrichten wird darüber berichtet?

Uns hingegen erreichen in der (na ja, nicht mehr so) idyllischen Schweiz die von der Hamas veröffentlichten Videos der Geiseln Evyatar David und Rom Braslavski – zwei Männer, jünger als meine Kinder, die seit 22 Monaten von der Hamas in Gaza unter katastrophalen Bedingungen festgehalten werden. Sie sind Haut und Knochen. Es sind Bilder, die an die Leichenberge in den KZs erinnern. Die Videos lassen uns nicht mehr los, doch hier in der Schweiz berichtet man kaum darüber. Unsere Herzen sind schwer, wir fühlen uns allein, missverstanden, diffamiert.

Wenn meine Töchter gefragt werden, woher sie kommen, sagen sie, geübt: „aus Malta“. „Dort spricht man Maltesers“, schieben sie lachend nach, denn den Humor haben sie trotz allem noch nicht verloren. Nur einmal sagt Sivan wahrheitsgemäss „Israel“, worauf sich die Haltung der freundlichen jungen Frau hinter der Theke sofort sichtlich verändert. Sie strahlt jetzt Feindlichkeit aus, bricht die Unterhaltung ab, schickt böse Blicke.
Der arabisch-stämmige Kassierer im Lidl, der bei unserem früheren Urlaub die Braue bis zum Haaransatz hochgezogen hat, als wir „aus Israel“ antworteten, lächelt nun hingegen – einige Monate später – vielsagend. Er kann sich an uns erinnern, er wähnt sich unterdessen in der Siegerpartei und er ist sicher, dass er am längeren Hebel sitzt.

An einigen Hauswänden in Basel steht „In Gaza verhungern Kinder“. Ich möchte ergänzen „... und israelische Geiseln. Wegen Hamas“, aber ich habe keine Spraydose dabei. Also schlucke ich meinen Protest herunter. Aber wir tragen die Erinnerung an Nitzan und Lidor, an Yuval und Shir, an die 1200 Ermordeten, an die 900 seit Kriegsbeginn gefallenen Soldaten und die Tausenden Verletzen in unseren Herzen und jedes „Free Palestine“-Graffiti, jedes Palästinensertuch treffen uns tief und ziehen uns den Boden unter den Füssen weg.

Eine Anti-Israel  Demo verpassen wir zum Glück um wenige Minuten. Ich bin froh darüber, denn es ist äusserst unangenehm, in eine Menge zu geraten, die die Auslöschung deines Volkes skandiert, während Passanten desinteressiert zusehen. Mein ehemaliger Schulkamerade Gabriel Strenger, unterwegs nach Kleinbasel, verpasste die Demo nicht, er ging mutig in der Menge mit und rief, als einziger Lichtblick unter Verwirrten „Am Israel Chai“. Hier sein Video und Kommentar auf Facebook.

Ja, wir lachen, geniessen Momente – doch niemand lebt in einer Blase, nicht einmal im Urlaub. Am Ende sehnen wir uns zurück nach Israel, wo die Menschen unseren Informationsstand, unsere Sorgen und Gedanken teilen. Wo wir nichts erklären und uns nicht verstecken müssen.
In unserer Heimat ist Krieg. Wir sind traumatisiert. In der Schweiz empfinde ich kein Mitgefühl, keine Empathie. Im Gegenteil – das Thema ist zu heiss, keiner spricht es an. Aber Schweigen ist auch eine Haltung.


Medienflut und Selbstschutz

Weil ich im Urlaub kaum Zeit für Social Media habe, schaffe ich doch etwas Abstand. Facebook und Instagram sind meine Haupt-Nachrichtenquellen. Ich schaue kein Fernsehen, auch zu Hause nicht. Auf Social Media lese ich Meinungen und bekomme immer die neuesten Artikel. Natürlich filtert der Algorithmus für mich – und der Überfluss an negativen Nachrichten über das Geschehen in Nahost überflutet mich.

Zurück nach Israel beschliesse ich, meinen Facebook- und Instagram-Konsum auf 15 Minuten pro Tag zu beschränken.
Doch noch vor diesem Vorsatz kommentiere ich auf Instagram einen Post. Ein kleines dänisches Wollunternehmen, von dem ich schon gekauft habe, startet eine Spendenaktion „für hungernde Kinder in Gaza“. Ich schreibe einen pro-israelischen Kommentar. In kürzester Zeit hat er über 50 Likes – und noch mehr völlig absurde Hasskommentare. Der gesamte Post der Firma bekommt mehr als 1500 Kommentare, sonst sind es höchstens 70. Gaza polarisiert. Genau das wollen die Hamas und der Iran, ihr politischer und militärischer Unterstützer: dass selbst die hinterletzten Strickerinnen irgendwo auf der Welt hasserfüllt aufeinander losgehen.
Viele ziehen Holocaust- und KZ-Vergleiche. Jemand schreibt: „Ärzte berichten, dass die Kinder von der IDF direkt in den Kopf geschossen werden. Absichtlich ins Visier genommen. Sie sind Monster.“


Echt jetzt? Meine drei Kinder haben alle je drei Jahre in der IDF gedient, Eyal sogar vier, dazu noch unzählige Reservedienste, vor und nach dem 7. Oktober Pogrom. Die Männer in Kampfeinheiten. Meine Kernfamilie verfügt über mindestens 15 Jahre IDF-Erfahrung. Ich habe immer wieder verschwitzte Uniformen gewaschen und mehr Eindrücke gehört, als man je zählen könnte – direkt und ungefiltert. Wir haben viele Freunde und Bekannte, die in Gaza im Einsatz sind. Ich habe also ein bisschen eine Ahnung, was in der IDF passiert.
Und dann sitzt da jemand irgendwo in Skandinavien und verbreitet, die IDF – also meine Kinder! – würden palästinensischen Kindern absichtlich in den Kopf schiessen.
Wie absurd das alles ist!

Die ersten Tage mit reduziertem Social Media Konsum verlaufen gut. In meinen Ruhestunden höre ich Podcasts, schaue mir einen Film an, lese viel. „Martha und die Ihren“ von Lukas Hartmann schliesse ich am Abend nach meiner Rückkehr ab (ein mitreissendes Zeitdokument, aber der emotional distanzierte, nüchterne Stil ist nicht mein Ding). Danach überfliege ich „Altern“ von Elke Heidenreich (viel weniger eindrücklich als die Person Elke Heidenreich selbst). Gerade habe ich die ersten Kapitel von „Tabak und Schokolade“ des Basler Autors Martin R. Dean verschlungen (sehr vielversprechend).

Vielleicht werde ich in Zukunft gezielt die Zeitungsartikel aufsuchen, die mir bisher von Facebook zugespült worden sind. Ich werde meine Augen nicht vor den Entwicklungen auf der Welt verschliessen, aber es muss mir ja nicht täglich in unkontrollierter Menge eingehämmert werden, wie schrecklich die Situation ist. Das tut keinem gut.
Die Nachrichten werden mich finden, wenn es sein muss. Und wenn nicht – umso besser!

Immerhin empfangen uns die Sonnenblumen am Eingang zum Dorf meiner Eltern einladend und wohlgesinnt.




Samstag, 19. Juli 2025

Was bleibt



In diesen Wochen, wo der Sommer seinen Höhepunkt erreicht, ist die Luft Tag und Nacht so unerträglich heiss und feucht, dass ich mich heute morgen nicht einmal zu meinem gewohnten Früh-morgen-Spaziergang aufraffen konnte. Statt über die Felder zu rennen, sitze ich im Garten. Bis acht Uhr ist es dort erstaunlich angenehm und so lasse ich mich von einem Buch forttragen, während der Tag erwacht. Nur Schmetterlinge und zwitschernde Vögel lenken mich ab. Unser Garten ist zur Zeit ein kleines Paradies. Ich sollte mir wirklich öfter die Zeit nehmen, ihn zu geniessen. Nach über zehn Jahren, in denen ich ihn mit laienhafter Hingabe selbst gepflegt habe, wurde er kürzlich von einem geschätzten Gärtner liebevoll überarbeitet. 
Sogar unser grosser Mangobaum wurde radikal gestutzt. Leider bedeutete das auch den Verlust seiner wenigen Früchte – bis auf eine! Eine einzige Mango hängt noch am Ast. Ich mache mir etwas Sorgen um ihre Zukunft. In wenigen Tagen reise ich in die Schweiz. Wird sie auf mich warten, gereift und golden?



Am Donnerstag waren wir Gäste auf einer Hochzeit – vielleicht die bewegendste, der ich je beiwohnen durfte. Der Anlass war tief berührend, auf eine ganz andere Weise als die Hochzeit meiner eigenen Tochter. Den ganzen Abend über liess mich der Gedanke nicht los, wie zerbrechlich der Faden war, an welchem das Zustandekommen dieses Festes hing. Nur die Handlungsfähigkeit und Bestimmtheit der involvierten Personen und unfassbares Glück in einem bestimmten Augenblick machten den Anlass möglich. Denn es war Yotam, der an diesem Abend seine Liebe feierte – ein Überlebender des Nova-Massakers.
Yotam kenne ich seit seiner Geburt – genau genommen, sogar schon vorher. Aus persönlichen Gründen erinnere ich mich noch lebhaft an den Moment, als meine Freunde uns von ihrer Schwangerschaft erzählten. Unsere erste Tochter wurde nur wenige Monate nach Yotam geboren. Sie teilten sich das Geburtsjahr, und jetzt auch das Hochzeitsjahr.

Doch Yotam wurde am 7. Oktober 2023 ein zweites Mal geboren. Hier ist seine Geschichte.

Dass er heute lebt, liebt und heiratet, erfüllt mich mit einer Freude, die kaum in Worte zu fassen ist. Die Feier war ausgelassen. Jung und Alt tanzten in purer Freude. Wir tanzten auch für jene, die das Massaker oder den Krieg nicht überlebt haben. Für ein paar Stunden rückten der Horror, das Schlachtfeld und der Krieg in den Hintergrund. Man kann nur so leidenschaftlich tanzen, wenn man weiss, dass der Schmerz nicht weit ist. 

Das Leben geht weiter, irgendwie. Neue Familien werden gegründet, Kinder werden geboren. Ich wünsche dem jungen Paar von Herzen eine liebevolle, aufrichtige Partnerschaft und eine erfreuliche und friedliche Zukunft.

Auch beim Blick aus dem Fenster ist der Garten eine Augenweide






Mittwoch, 9. Juli 2025

Vorfreude mit Schatten

Auf diesem neu veröffentlichten Foto ist der 12-jährige Yagil Yaakov in Unterwäsche zu sehen, brutal von Terroristen misshandelt, unmittelbar nach seiner Entführung aus dem Haus der Familie im Kibbuz Nir Oz am 7. Oktober 2023. 
Sein Vater Yair war gerade ermordet worden, seine Leiche wurde nach Gaza verschleppt. 
Yagil musste 52 schreckliche Tage in Gefangenschaft ertragen, bevor er schliesslich im Rahmen eines Geiselaustauschs freikam. 
Der Leichnam seines Vaters Yair wurde erst vor wenigen Wochen gefunden und nach Israel zuruckgebracht.





Meine Sommerferien in der Schweiz rücken näher! Noch zwei Wochen! Ich freue mich, zähle die Tage. Ich sehne mich danach, meine Familie wiederzusehen, durch Schweizer Städte zu bummeln, zu Wandern – und vor allem: endlich für einige Tage die Last der Gedanken ablegen zu können, die sich in Israel rund um die Uhr um die elende Sicherheitslage drehen. Natürlich wird der Krieg in Israel nicht innehalten, nur weil ich nicht vor Ort bin. Doch die Leichtigkeit der Schweiz ist ansteckend. Nach einigen Tagen gelingt es mir meist, abzuschalten und einfach die Schweizer "Normalität" zu geniessen.

Leider überschattet ein nagendes Unbehagen meine Vorfreude. Ich weiss, dass ich in Europa etwas begegnen werde, das mir Angst macht. Pro-Palästina-Demos und steigender Antisemitismus sind das eine, von ihnen werde ich mich hoffentlich fernhalten können. Doch das ist nur die Oberfläche. Das eigentliche Problem sitzt tiefer. Es sind die harmlos klingenden Floskeln, die mich fassungslos machen.

"Ach, weisst du, Politik interessiert mich nicht. Ich verstehe diese ganzen Kriege wirklich nicht, der Nahost-Konflikt ist ja auch sooo komplex."

Fast immer stecken dahinter weiterführende Gedanken:

Der Konflikt ist komplex –
  • aber was sollen die Palästinenser tun, wenn ihnen immer mehr Land weggenommen wird?
  • die Hamas mögen Terroristen sein, aber die jüdischen Siedler sind auch militant.
  • aber der Krieg dort unten dauert schon Jahrzehnte. Die Gewaltspirale muss endlich durchbrochen und es müssen Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden.
  • aber der 7. Oktober ist jetzt 21 Monate her, das muss doch mal ein Ende haben.
  • aber Vierzigtausend ermordete palästinensische Kinder — ist das wirklich noch verhältnismässig?
  • aber man muss doch wohl Israel kritisieren dürfen, ohne gleich Antisemit zu sein.
  • aber hätten ausgerechnet die Juden nicht aus der Vergangenheit lernen sollen?

Meist hüten sich die höflichen Schweizer, mir gegenüber so etwas auszusprechen. Und wenn sie es manchmal doch tun – was kann man solchen Plattitüden entgegnen? Sie zeugen von totalem Unverständnis und Gehirnwäsche.

Ich weiss, wie die relativierenden Gedanken und ihre Steigerungsform, der Israelhass, zustande kommen: Jeder Schweizer Bürger bekommt seit Jahren ein feines stetiges Tröpfchen Anti-Israel-Propaganda verabreicht. Es reicht, hin und wieder eine Zeitung aufzuschlagen oder beim Autofahren das Radio oder zu Hause den Fernseher laufen zu lassen. Seit dem 7. Oktober 2023 ist die Tröpfchen-Dosis noch beachtlich aufgedreht worden. Für Involvierte ist die offensichtliche Desinformation empörend, doch auf alle Anderen wirkt die Meinungsmache unaufhaltsam. Sie schafft einen moralischen Nebel, in dem Täter und Opfer, Angreifer und Verteidiger unkenntlich werden.

Aber ich lebe in diesem Land, das im Mittelpunkt aller Newsticker steht. Ich lebe in diesem Land, das im Nahen Osten seit Jahrzehnten um sein Überleben ringt und sich dabei noch rechtfertigen muss. Ich höre die Sirenen, ich lese täglich die Namen der Toten, ich kenne unzählige Menschen, deren Leben in Trümmern liegt. Ich weiss ein oder zwei Dinge über die Hintergründe. Und mir bangt und graut davor, wie die Realität in Europa ignoriert, verdreht, nicht verstanden oder nicht geglaubt wird.

Die Ausmasse der gegenwärtigen Anti-Israel-Propaganda lassen sich mit der antisemitischen Hetze im dritten Reich durchaus vergleichen. Wir sind (noch) nicht so weit, dass Juden wieder versteckt werden müssen – doch wir sind so weit, dass sich Juden in Europa nicht mehr sicher fühlen. Genauso wie die Menschen damals irgendwann glaubten, Juden seien "Ungeziefer", glauben viele heute, Israel sei an allem Übel im Nahen Osten schuld, oder bedienen das nicht weniger schlimme "Beide-Seiten"-Narrativ.
Es braucht nur ein tägliches, kaum merkliches Tröpfchen Propaganda – damals wie heute.

Übertreibe ich? Ich glaube nicht. Mein Leben in Israel, der Krieg, die ständige Bedrohung, all das beschäftigt mich Tag und Nacht. Ich kann nicht behaupten, dass ich dafür kein Verständnis bekomme, doch ich verzichte gerne auf das Mitgefühl, wenn mein Volk – und damit ich – im gleichen Atemzug mit völkermörderischen Milizen und Terroristen in einen Topf geworfen wird. Neutralität mag schön und gut sein, ist aber oft nur ein Deckmantel für Gleichgültigkeit und Ignoranz.

Doch damals wie heute gibt es in dieser Zeit des moralischen Zusammenbruchs eine kleine Minderheit, die unbeirrt weiss, was richtig ist. Einige wenige, die verstehen, dass Israel dieselben freiheitlichen und demokratischen Ideale verkörpert, die auch ihre eigene Gesellschaft tragen. Menschen, die sich mit Israel solidarisch fühlen, weil sie wissen, dass Israel für den Westen den Krieg gegen die Barbarei ausfechtet. Die wissen, dass uns freiheitliche Werte nicht in den Schoss fallen, sondern dass sie seit Jahrhunderten erkämpft worden sind und dass man weiterhin für sie einstehen muss. Menschen, die die Geschichte gut genug kennen, um zu wissen, dass das Judentum die Wurzel des Christentums ist – und dass ein Baum ohne Wurzeln nicht bestehen kann.

Kann ich es jemandem zum Vorwurf machen, nicht zu wissen, worum es geht? Wie bewahrt man sich eine eigene, unabhängige Sicht trotz Manipulation?
Es sind nur wenige, die sich nicht beirren lassen. Unter meinen Bekannten in Europa kann ich sie an einer Hand abzählen. Woher nehmen sie ihre Überzeugung? Was ist anders an ihrem moralischen Leitsatz im Vergleich zu dem der Relativierer und der Mitläufer? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht.

Und was ist mit mir? Lebte ich in der Schweiz, zu welcher Seite würde ich gehören?

 

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Hier sind zwei Artikel zum Thema "Nahost", die aufschlussreiche Einsichten vermitteln. Sie sind beide schon etwas älter, aber immer noch sehr aktuell.