Mittwoch, 19. Februar 2020

Strickpause

Als ich noch jung war, liebte ich es, zu stricken und ich entwickelte mich zu einer echten Strickexpertin. Ich strickte zu Hause vor dem Fernseher oder am Radio, ich strickte im Zug, ich strickte im Unterricht unter dem Pult, ich strickte jahrelang einfach immer, wohl Hunderte von Jacken und Pullovern, Mützen, Handschuhen und Socken. Wenn ich knapp bei Kasse war, löste ich alte Pullover auf und verwendete die Wolle ein zweites mal. Ich kann mich sogar noch an einen Abend erinnern, als ein junger Mann bei mir zuhause neben mir sass und mich wohl gerne küssen wollte. Er hatte keinen Erfolg – schliesslich musste ich unbedingt diese paar Reihen fertigstricken...

Eine seltsame Beschäftigung für eine junge Frau, würde man heute wohl denken. Aber das war ja auch in einem anderen Jahrhundert. Und einen Mann, für den ich die Strickarbeit zur Seite legte, habe ich dann doch noch gefunden.

Als ich nach Israel zog, machte das Stricken nicht mehr viel Sinn. Es war zu warm und es gab keine anständige Wolle. Ich besorgte mir eine Nähmaschine und begann zu nähen. Irgendwann lockten mich die Nadeln wieder und ich häkelte einige Bikinis. Meine Töchter waren begeistert davon – bis sie sich zum ersten mal damit ins Wasser wagten...

Als mich kürzlich eine Freundin darum bat, einen Mantel für sie zu stricken, war ich sofort Feuer und Flamme. Sie lieferte die Wolle und ich strickte bald in jeder freien Minute. Nicht mehr im Zug (heute fahre ich Auto) und auch nicht mehr im Unterricht. Auch nicht an der Arbeit – obwohl ich gestehen muss, dass mir der wahnwitzige Gedanken durch den Kopf gegangen ist. Nein, ich stricke hautpsächlich zu Hause auf dem Sofa, wann immer es die Zeit erlaubt. Meistens höre ich dabei über Kopfhörer Audio-Bücher von der Onleihe Bibliothek, während die Nadeln dahinfliegen. Nach "Liebe zukünftige Lieblingsfrau" von Michalis Pantelouris (etwas leichtere Kost) höre ich nun "Bronsteins Kinder" von Jurek Becker (faszinierend und etwas anspruchsvoller). Es ist das perfekte Abkapseln von Alltagssorgen, ärgerlichen Familienmitgliedern und deprimierenden Nachrichten.

Ich schaffte zweieinhalb Pulloverteile (in kürzester Zeit!) dann stieg meine Schulter aus und ich musste den Strickmarathon unterbrechen. Schon drei Tage ruht nun die Arbeit, weil ich meinen rechten Arm kaum noch bewegen kann. Nun sitze ich abends von Schmerzmitteln betäubt auf dem Sofa, geniesse weiterhin das Buch über die Kopfhörer, aber die Hände ruhen im Schoss. Nur manchmal, wenn ich auf die Wolle blicke, zucken die Finger.

2 Kommentare:

Anneinsideoffice hat gesagt…

Ach Schade, dass es der Schulter zu viel wurde. Hoffentlich regt sie sich bald ab, damit die Jacke bald fertig wird :-)

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Anneinsideoffice,
Danke, das hoffe ich auch! Obwohl die Freundin die Jacke in den Sommermonaten ja wohl kaum gebrauchen wird. Und bis nächsten Winter habe ich ja noch genug Zeit um es etwas gemässigter anzugehen.
Liebe Grüsse!