„Zu Fuss nach Jerusalem“ – ich bin sofort Feuer und Flamme, als ich dieses Buch in den Händen halte und den Klappentext lese. Eine Pilgerwanderung von der Schweiz nach Jerusalem! Ich bin hingerissen – was für ein grossartiges Unternehmen! Wenn man Corona-bedingt nicht fliegen kann... Warum nicht einfach gehen? Zu Fuss an sein Ziel zu gelangen wäre aber nicht nur ein Mittel zum Zweck, sondern ein sinnvolles Lebensereignis, eine tiefgreifende Selbsterfahrung. Denn – es wohnen ja zwei Seelen, ach! in meiner Brust: eine schweizerische und eine israelische. Wandernd den Weg und die Distanz zwischen den beiden Ländern zu erfahren! Zu Fuss eine Verbindung zwischen meinen beiden Heimaten zu schaffen! Ich bin voll und ganz von der Idee begeistert. Noch während ich die Einleitung lese möchte ich sofort meine Kollegin, die Reiseleiterin, anrufen und sie bitten, mich auf dieser Reise zu begleiten und alles Notwendige in die Wege zu leiten. Schliesslich steht auch sie mit einem Fuss in der Schweiz und dem anderen hier in meinem israelischen Nachbardorf. Und auch sie ist eine leidenschaftliche Wandererin. Aber im Gegensatz zu mir kann sie Karten lesen und sehr gut organisieren. Natürlich würden wir in umgekehrter Richtung gehen: ab Israel zu Fuss in die Schweiz. Die Route über Syrien, die Türkei und Osteuropa bis in die Schweiz ist auf den inneren Buchdeckeln detailgetreu abgebildet. Wir müssten fast nur noch den Rucksack packen und loswandern. Ein Jahr Urlaub nehmen für dieses Unterfangen – oh ja bitte, das käme jetzt gerade zur rechten Zeit! Sollen sich doch die undankbaren Idioten im Büro endlich selbst um ihren Kram kümmern. Für mich ist es jetzt wirklich höchste Zeit, etwas Sinnvolles zu unternehmen, anstatt meine wertvollen Tage zu verplempern.
Als ich zu lesen beginne, stellt sich nach wenigen Seiten die Ernüchterung ein. Tagelanges monotones Gehen an lärmenden Autostrassen entlang. Über Leitplanken klettern, um mehrspurige Verkehrsknoten zu überqueren. Durch schmutzige Industriegebiete und triste Vorstädte marschieren. Das ist nicht eine erquickende Wanderung auf wildromantischen Naturwegen. Je weiter entfernt von Europa desto spärlicher werden die Übernachtungsmöglichkeiten. Sogar das Angebot an käuflichen Esswaren wird problematisch. Und dann das Kriegsgebiet Syrien. Vom Geheimdienst verfolgt und bespitzelt, von kriegserfahrenen Menschen bedroht, die vor nichts mehr Angst haben...
Als der Autor und seine drei Pilgerfreunde in Israel eintreffen und in religiöser Euphorie die heiligen Stätten besuchen, klappe ich das Buch ernüchtert zu. Man muss wohl sehr naiv oder grenzenlos religiös verklärt sein, um sich überhaupt auf so eine Entreprise einzulassen. Beides trifft meines Erachtens auf den Autoren zu. Auf mich aber eher weniger. Schade. Das Unterfangen bleibt ein Traum.
3 Kommentare:
Eventuell gibt es ein malerisches Teilstück auf dieser Route, welches auch nicht durch ein Kriegsgebiet führt. Auch der so überlaufene Jakobsweg hat ruhige, nicht bekannte Teilstücke.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Unternehmen zum Alptraum wird, ist relativ hoch. Also bleib lieber auf dem Shvil Israel ... ich hab immer noch die Hoffnung, mit dir dereinst mal wieder im Landwer Cafe zu frühstücken!
Liebe Anneinsideoffice, liebe Schreibschaukel. Ich denke auch dass die malerischen Teilstücke auf dieser Strecke eher in der Minderzahl und dass das Alptraum-Potenzial ziemlich hoch ist. Genauere Details könnten wir ja tatsächlich bei einem gemeinsamen Frühstück irgendwo im Grossraum Tel-Aviv besprechen. Anneinsideoffice - du bist auch herzlich eingeladen!
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