Dieses Wochenende werden wir die Kinder nur per Videogespräch sehen. Die Älteste lebt in ihrer eigenen Wohnung, der Sohn schon länger in der Schweiz. Die Jüngste verbringt den Shabat in der Armee. Sogar das vierte Kind, ein Mädchen aus dem Internat, welches seit einigen Jahren die Wochenenden bei uns verbringt, fährt zu einer Tante. Mein Mann Eyal ist ziemlich pflegeleicht. Das bedeutet: Niemand braucht etwas von mir! Auch meine eigenen Erwartungen an mich selbst versuche ich herunterzuschrauben. Summa summarum: KEINER ERWARTET IRGEND ETWAS VON MIR. Das ist sensationell!
Die Tochter meines Schwagers hat vor einer Woche ihr drittes Kind geboren. Über die ersten, die Zwillinge, habe ich vor dreieinhalb Jahren geschrieben. Gegen Mittag gehe ich auf einen Sprung bei der jungen Familie vorbei, um einen frischgebackenen Zopf, Erdbeermarmelade und ein Geschenk für die Kinder zu bringen. Als ich eintrete, springen die Jungs, die wohl gerade geduscht haben, splitternackt und laut kreischend wie kleine Äffchen über die Möbel durch die Wohnung. Ans Anziehen ist nicht zu denken, wahrscheinlich werden sie keine Ruhe geben, bis die Batterien leer sind. Und das scheint nicht so bald der Fall zu sein, so wie das hier aussieht. Die Mutter hält das Neugeborene in den Armen. Es schläft einige Augenblicke süss und ruhig – dann stimmt es kräftig in das Schreiorchester ein. Der Vater schaut mich aus schwarzumringten Augen an. „Wir haben kapituliert“ sagt er sarkastisch. „Wenn sie nur am Leben bleiben, dann sind wir zufrieden, mehr verlangen wir nicht“. Nach fünf Minuten in der Wohnung habe ich Herzrasen, Tinnitus und deutliche Anfänge einer Migräne. Ich mache mich aus dem Staub und wünsche der jungen Familie viel Freude mit ihrem Glück.
Gegen Mittag werden wir hungrig. Kinderlos und spontan wie wir sind, suchen Eyal und ich in einem der Nachbardörfer einen Kaffeekiosk auf, die jetzt, da die Restaurants geschlossen sind, überall aus dem Boden spriessen. Wir kaufen Kaffee und ein Sandwich und setzen uns auf die Wiese. Es ist Purimfest und die Schule gerade aus, deshalb ist das Pärkchen voll mit jungen Familien mit verkleideten Kindern. Das ist auch schön, denke ich und blinzle in die Sonne. Aber noch schöner ist es, wieder Zeit für mich selbst zu haben und zu sehen, wie die Kinder erwachsen werden. Wie sie ihr eigenes Leben meistern und vor allem – dass sie Freude daran haben.
Am Nachmittag kommt Sivan mit Freund zum Aperitif. Soviel Rummel ertrage ich gerade noch. Beim Betrachten der Fotos, die Sivan fürs Instagram macht, staune ich schon ein wenig, wie weiss mein Haar geworden ist. Und über all die Falten am Hals, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Aber na ja, ich kann damit leben. Eine neue Generation ist nun damit beschäftigt, schön und jung zu sein. Ich hingegen habe Zeit, mich um die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu kümmern. Zum Beispiel, dafür zu sorgen, dass der Nachwuchs in der erweiterten Familie nie kalte Füsse haben wird.