Sonntag, 29. März 2020

Verbotenes Vergnügen


Auf Facebook verfolge ich schon seit längerer Zeit eine Gruppe von Lauffreunden. Die Gruppe zählt mehrere tausend Mitglieder – alle mehr oder weniger fanatische Hobbyläufer – die Resultate, Erfahrungen und Gedanken zum Thema Laufen posten. Einige Posts sind hilfreich oder originell, andere wische ich ungelesen weg, wie das auf Facebook eben so ist. Seit wir wegen Corona Ausgangssperre haben und uns nur noch in einem Radius von Hundert Metern von der eigenen Wohnung bewegen dürfen, ist auf dieser Facebook-Gruppe die Hölle los. Die Läufer haben sich in zwei Lager gespalten und streiten, dass die Fetzen fliegen. Die Posts zum Thema überschlagen sich und sorgen für erhitzte Gemüter. Die Einen finden es gefährlich und unverantwortlich bis kriminell, sich dem Gesetz zu widersetzen, die Anderen halten die Regeln für übertrieben, missachten die Massnahmen und brüsten sich täglich mit aktuellen Laufresultaten, trotz Verbot. Beide Seiten können jeweils den Vertretern der Opposition absolut kein Verständnis entgegenbringen.

Ich persönlich bin zwischen den Lagern hin- und hergerissen. Beide haben plausible Argumente. Ich laufe seit zehn Jahren zwei-, drei- oder viermal die Woche, nur mit kurzen Unterbrüchen wegen Verletzungen oder Krankheit. Für mich ist Laufen Leben. Das unbeschreibliche Gefühl, dass mein Kopf immer leichter wird, je mehr ich mich mit der Schwere des Körpers auseinandersetze. Dass ich immer näher bei mir bin, je weiter ich weglaufe. Ich brauche das Laufen wie die Luft zum Atmen, es hält mich vital, hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und Stress abzubauen.

Aber dafür das Gesetz zu brechen? Mich mit der Polizei anlegen? Vielleicht sogar eine Busse verpasst bekommen? Und ganz abgesehen von der Regelverletzung – ich will in dieser Corona-Geschichte weder mich selbst noch Andere gefährden. Darf ich selbst abwägen, ob die Normen mehr nutzen oder schaden? Welche und wie viele kleine Regelverletzungen gehen noch durch? Wäre eine Laufrunde schlimmer, als bei Rot die Strasse zu überqueren? Wie viel Selbstbestimmungsrecht darf ich mir zugestehen? Auf meiner Laufstrecke ist das Ansteckungsrisiko verschwindend klein. Immerhin laufe ich im Gelände, wo sich Fuchs und Hase guten Abend (in meinem Fall guten Morgen) sagen und die Chance jemanden zu treffen, ist verschwindend klein.

Aber die Regeln sind klar: Sportliche Aktivitäten im Freien sind verboten. Wo kämen wir hin, wenn jeder nur seine Extrawurst vor Augen hätte? Das Virus scheint wirklich gefährlich zu sein und für die Eindämmung der Epidemie einige Wochen zu Hause zu bleiben, sollte doch machbar sein. Dann laufe ich eben zu Hause hundertmal die Treppe hoch, oder übe eine Stunde Seilspringen.  

Einige Tage lang wiege ich das Dafür und Dawider ab. Versuche, mit mir selbst auszuhandeln, wie die neuen und alten Werte zusammenpassen. Ich denke mir die kreativsten Heimtrainings aus, um fit zu bleiben. Vom obersten Stock in die hinterste Ecke im Garten und zurück. Zweihundertmal die Strasse rauf und wieder runter. Dann wieder verwerfe ich alles und denke, dass es doch kein so schlimmes Verbrechen sein kann, mich früh morgens aus dem Dorf zu schleichen und mutterseelenallein etwas über die Felder zu laufen. Und wenn mich jemand verpatzen würde? Etliche Male suche ich in Gedanken die kürzeste Route von unserem Haus ins Gelände.

Schlussendlich stelle ich den Wecker. Noch vor dem Sonnenaufgang stehle ich mich aus dem Haus. Bei den Nachbarn ist es noch dunkel, da lauert also keine Gefahr. Trotzdem pocht mein Herz stärker als sonst. Hinter jeder Ecke, hinter jeder Hauswand vermute ich einen Verräter. Und da, steht da nicht jemand am Fenster? Ich laufe etwas schneller. Ich bin ein Gesetzesbrecher! Ich treibe Sport und das ist verboten!

Als ich endlich die Hauptstrasse überquere, die unser Dorf von den Feldern trennt, entdecke ich noch in weiter Ferne ein einzelnes Auto. Ist es ein Streifenwagen? Ich sprinte mit voller Kraft los und erreiche den sicheren Feldweg einige Sekunden bevor das Auto hinter mir vorbei braust. Ich bin gerettet! Jetzt habe ich feuchte braune Erde unter den Füssen, frische Luft und Blütenduft in der Nase und Vogelgezwitscher in den Ohren. Inspiriert von den Beinen hüpft meine Seele davon. Ich atme auf und ziehe beruhigt los, über die blühenden Wiesen, während die Sonne aufgeht…


Donnerstag, 26. März 2020

Fitness in Zeiten von Corona

Keine Sorge, liebe Leser, hier erwartet sie nicht ein weiterer Vorschlag für ein Heimtraining bei Ausgangssperre. Viel mehr geht es um Sport im Fernunterricht und um die Bewältigung einer Abschlussprüfung in skurrilen Zeiten. Und ja, der Beitrag ist etwas länger, aber bestimmt müssen sie ja in den nächsten Stunden nirgendwo hin, es sei denn, sie seien Arzt, Pflegepersonal oder arbeiten an der Entwicklung eines Impfstoffs.

Sport ist an den israelischen Oberstufen ein offizielles Abschlussprüfungsfach. Für das „Bagrut“ (Abitur) müssen die Schüler nebst anderen Disziplinen auch drei Kilometer Laufen. Lianne ist aber keine sportliche Person – ihr Körper befindet sich in einem Ruhemoment, das nur schwer in Bewegung zu bringen ist. Deshalb beschäftigt sie die Frage, wie diese Lauf-Nuss zu knacken ist, schon seit geraumer Zeit. Eigentlich schon seit Anfang Oberstufe taucht das Thema bei uns zu Hause sporadisch auf – nur um dann schnellstens wieder unter den Teppich gewischt zu werden. Einst noch zuversichtlich, entwarf ich für Lianne ein grosszügiges zweijähriges Trainingsprogramm, später dann ein etwas intensiveres für einige Monate. Aber all das Gerede fruchtete nichts und eines Tages stand das befürchtete Prüfungsdatum – der 25. März – unmittelbar bevor.

Wenige Wochen vor dem Termin sah Lianne nun doch noch ein, dass sich das unliebsame Thema durch Verdrängen wohl nicht beseitigen lassen würde und raffte sich widerwillig dazu auf, etwas für ihre Fitness zu tun. Sie zog sich sportlich-modisch an, stimmte die Farbe des Laufshirts auf die Socken ab, schminkte sich sorgfältig und als das Outfit perfekt war, zog sie los. Aber schon nach wenigen Hundert Metern ging ihr die Puste aus und sie fand bestätigt, was sie schon lange wusste: dass Hopfen und Malz verloren ist. Nach Luft ringend verfluchte sie die Lehrerin, die Schule und den Sport im Allgemeinen. Sie kann, will und wird nicht laufen! Eher lernt ein Elefant Seiltanzen, als dass ein unverbesserlicher Stubenhocker in drei knappen Wochen zum Läufer wird.

Nun ist Lianne gerade volljährig geworden und somit selbständig krankenversichert (das bedeutet, dass wir, ihre Eltern, keinen Zugriff mehr auf ihre Daten haben, aber weiterhin die Versicherungsraten berappen müssen, solange sie noch zur Schule geht).

Die erste grandiose Aktivität, die sich Lianne als selbständiges Krankenkassenmitglied leistete, war das Erlügen einer Achillessehnenentzündung und das Erbetteln eines Attests von unserem Familienarzt. Der Arzt stellte das gewünschte Schreiben grosszügig aus, ohne die Patientin zu begutachten. Zwar hatte die Beglaubigung einen Haken, denn sie war auf einen Monat befristet, aber immerhin befreite sie Lianne vom ersten Prüfungstermin. Für den Wiederholungstermin, der einen Monat später drohte, würde sie sich rechtzeitig auch noch etwas einfallen lassen. Kommt Zeit, kommt Rat!

Kommt Corona! Zwar wird die Erde nicht kurz vor der Prüfung von einem Meteoriten aus der Bahn geworfen, wie sich das Lianne insgeheim gewünscht hatte – aber ein fast so fatales Virus zwingt uns momentan, sämtliche Pläne und Aktivitäten aufs Abstellgleis zu stellen. Die Zukunft ist bis auf Weiteres storniert. Somit auch alle Abschlussprüfungen. Hurra! Endlich darf Lianne offiziell faulenzen, bis sie nach Verwesung stinkt. Ja, natürlich ist die ganze Situation nicht gerade rosig und dass sie ihre Freunde nicht mehr treffen kann und eigentlich so schnell wie möglich die Schule hinter sich lassen und die Welt entdecken wollte, weicht nun einer abgrundtiefen Enttäuschung. Aber immerhin, die Laufprüfung scheint erst einmal aus der Welt geschafft zu sein. Halleluja!

Ab sofort brilliert Lianne in der Disziplin „Auf-dem-Sofa-liegen“. Diese unterbricht sie nur ab und zu, um Knabbernachschub aus der Küche zu besorgen. Für kurze Zeit ist ihr Leben fast perfekt.

Aber nach wenigen Tagen im Schockzustand rauft sich die Lehrerschaft zusammen und richtet sich für den Fernunterricht ein. Und sie nehmen es ernst: Nach zwei Tagen Fernunterricht beklagt sich Lianne, dass sie in den letzten 48 Stunden mehr Arbeiten geschrieben habe als in den vergangenen drei Monaten! Dann schiesst die Sportlehrerin mit einer besonders unverschämten Idee den Vogel ab: Sie schickt Lianne ein detailliertes einmonatiges Trainingsprogramm und fordert sie auf, ihr die mit der Fitness-App Strava aufgezeichneten Laufübungen online zur Kontrolle zu schicken. Was für eine Hexe! Ist es nicht genug, dass uns dieses verflixte Virus das Leben zur Hölle macht? Nicht einmal auf dem eigenen Sofa lassen einen die Lehrer in Ruhe!

Zusätzlich soll Lianne als Strafaufgabe für drei im Januar geschwänzte Sportstunden zwanzig Burpees (Liegestützsprünge) machen und eine Vidoaufnahme davon der Lehrerin schicken. Ach, wenn es nur das ist – kein Problem! Gegen ein angemessenes Entgelt ist die sportliche Schwester bereit, die Aufgabe für sie auszuführen. Immerhin ist Sivan gleich gross und hat ähnliches Haar. Dass sie einiges dünner ist, wird mit drei übereinander angezogenen dicken Trainingsanzügen ausgeglichen. Ihre Burpees sind perfekt. Sie wird nur von hinten gefilmt und hopp, schon ist das Filmchen im Kasten.

Was die Aufzeichnungen des Lauftrainings anbetrifft – was läge näher als mich dafür einzuspannen? Schliesslich gehe ich eh dreimal in der Woche laufen und es wäre doch unverzeihlich, diesen Heimvorteil nicht zu nutzen. Meine vehemente Absage akzeptiert Lianne zwar enttäuscht aber vielleicht auch etwas erleichtert, denn der Gedanke, sich mehrere Male von ihrem Handy trennen zu müssen, lag ihr eh schwer auf dem Magen.

Endlich schafft es eine Freundin, Lianne zum ersten Training zu motivieren. Aber die Laufrunde wird – wie nicht anders zu erwarten – eine Katastrophe. Irgendwie vermasselt Lianne die Aufzeichnung mit der App und obwohl sie mindestens zwanzig Minuten mit der Freundin in der Nachbarschaft umher schlurft, werden davon nur acht Minuten aufgezeichnet. Sie ist am Boden zerstört! Wie konnte es nur passieren, dass sich wertvolle Trainingsminuten im Nichts auflösten?! So konnte es nicht weitergehen! Eine handfestere Lösung musste her.

Not macht bekanntlich erfinderisch. Lianne hat zwar müde Beine, aber ein kluges Köpfchen. Für das zweite Training steigt sie mit Handy ins Auto, stellt die FitnessApp an – und fährt mit 8 km pro Stunde einmal ums Quartier. Ha! Das perfekte Training ist in der Tasche! So scheint es immerhin, aber bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Aufzeichnung eine seltsame Zickzackform hat. Hmm, ob die Lehrerin das merken würde?

Die Rettung kommt vom Himmel, denn in diesen Zeiten ist auf höhere Gewalt Verlass: Eine Ausgangssperre! Ab sofort dürfen wir uns nur noch in einem Radius von 100 Metern von der eigenen Wohnung bewegen. Wenn das nicht eine göttliche Eingebung ist! Mit den neuen Massnahmen scheint die Sportprüfung endlich in unerreichbare Ferne zu rücken.

Lianne liegt wieder auf dem Sofa. Aber mir scheint, dass diese Prüfung nicht totzukriegen ist. Wenn eine Sehnenentzündung und ein Corona-Virus ihr noch nicht den Garaus gemacht haben, vermute ich, dass sie demnächst in irgendeiner Form wieder den Kopf heben wird. Ich bin gespannt...

Mittwoch, 18. März 2020

Prosit!

Entgegen aller dringlichsten Empfehlungen fahre ich heute wieder ins Büro. Die Verbindung und die Ausrüstung im Heimbüro waren gestern katastrophal. Ich habe eine komplizierte Arbeit zu erledigen, für welche ich meine beiden grossen Bildschirme und akzeptable Netzverbindung benötige.

Die Strassen sind auch zur Hauptverkehrszeit wie ausgestorben. Auch die Büros sind menschenleer. Ich geniesse die Ruhe und weiss nun sogar meine graue Büroeinrichtung zu schätzen! Nur das Reinigungspersonal ist noch da und putzt in Scharen und als ginge es um Leben und Tod. Eine der Frauen wedelt auch um mich herum und reibt meine direkte Umgebung mit Unmengen von antiseptischen Feuchttüchern ab. Sie erledigt ihre Arbeit so eifrig, dass sie sogar den gebotenen Zwei-Meter-Abstand vergisst.

Zum Mittagessen lasse ich mir vom Asiaten Sushi liefern, obwohl ich mich beim letzten mal gewaltig über den extremen Abfallberg geärgert und mir vorgenommen habe, nur noch unverpackte Mahlzeiten zu essen. Die Sushi-Mahlzeit ist auch heute wieder in unzählige Kartonschächtelchen mit Plastikdeckeln verpackt und der hinterlassene Abfallberg ist mindestens dreimal so umfangreich wie das Essen, das ich zu mir nehme. Aber leider gibt es auch in der Kantine nur noch umweltschädlich abgepacktes Essen.

In der verwaisten Kaffeeküche finde ich eine angebrochene Flasche Roséwein. Der wird ja auch nicht frischer, denke ich, und genehmige mir einige Tropfen. In einem Plastikbecher, wohlgemerkt, etwas anderes finde ich gerade nicht. Aber das macht ja jetzt alles nichts mehr aus, schliesslich müssen wir nur noch irgendwie überleben.
Nach einem Becher Rosé sieht die Welt aus dem Bürofenster fast schon aus, als wäre alles beim Alten. Prosit! Nach uns die Sintflut!

Sonntag, 15. März 2020

Surreale Szenen

Im Restaurant, in welchem meine Tochter arbeitet(e), werden heute die Waren verteilt oder weggeschmissen. Dann werden die Türen bis auf Weiteres verriegelt. Sie ist ganz froh, dass sie nicht mehr arbeiten muss, denn sie zieht gerade um und braucht die freien Tage. Womit sie ihre Miete bezahlen wird? Es ist wahrlich ein Segen, wenn man nicht mehr als drei Tage vorausdenken kann!

Abfall. Einst lebten wir in Saus und Braus

In unserer Kantine (ja, ich bin heute noch zur Arbeit gefahren, denn die Anweisungen des Arbeitgebers sind eher unklar) gibt es ab sofort in Aluschalen abgepackte Mahlzeiten, dazu Einweg-Plastikbesteck. Soviel zu meinem letzten Beitrag betreffend Plastikmüll. Im Kampf ums Überleben verpassen wir der Erde den Todesstoss.

Am Eingang zur Kantine zählt der Kantinenchef die Besucher, damit sich zu keinem Zeitpunkt mehr als sieben Personen in der 200 Menschen fassenden Halle befinden. Die drei Angestellten an der Ausgabe tragen Gesichtsmasken und Plastik-Handschuhe. Über allem liegt ein starker Duft von Desinfektionsmitteln. Die Tische sind in möglichst grossen Abständen nach draussen auf den Kunstrasen gestellt worden. An jedem Tisch stochert eine einzelne Person in ihrem Essen herum. Viele tragen ihre weissen Laborkittel, einige haben ihre Labor-Schutzbrillen in die Stirne geschoben. Wie ich aus der Ferne einschätzen kann, gibt es plastikweissen Reis, Antibiotika-Poulet und genmanipulierte Erbsen. Die Szene ist so surreal, dass ich so schnell wie möglich weg muss. Danke, mir ist der Appetit vergangen!


In diesen Zeiten schreibt man am besten gar nichts mehr für die Öffentlichkeit. Was heute stimmt, wird morgen widerrufen und ist übermorgen peinlich.
Ich werde Tagebuch für mich selbst schreiben, dafür umso öfter. In einigen Jahren werden wir bestimmt darüber staunen. Falls Sie unter den Überlebenden sein sollten – die Word-Datei befindet sich in meinem PC unter C:\Privat\Geschreibsel\MeinCoronaTagebuch.docx.

Donnerstag, 5. März 2020

Ein Weckruf

Die Sonne ist eben erst aufgegangen. Die Vögel zwitschern. Blühende wilde Iris und Veilchen säumen meinen Weg, bevor ich die Klippen zum Meer hinuntersteige. Es riecht nach Frühling... 

So fangen unzählige meiner Blogbeiträge an. Aber etwas ist anders. Ich kann keine lustigen oder unterhaltsamen Beiträge mehr schreiben. Die Katastrophen nehmen in diesen Tagen ein Ausmass an, das es nicht mehr erlaubt, unbesorgt wegzuschauen. Der Aufstieg despotischer und terroristischer Gruppierungen, Kriege, Flüchtlingskatastrophen, Heuschreckenplagen, Pandemien.

Die Ausbreitung des Corona-Virus, aber noch viel mehr die Massnahmen der Gesundheitsbehörden und die daraus resultierende Massenpanik, machen Angst. Schulen, Universitäten, Industrien und der Luftverkehr sind lahmgelegt. Es ist ungewiss, wohin sich das in den nächsten Wochen oder Monaten noch entwickeln wird. Aber während die Corona-Hysterie mir trotz allem noch wie ein völlig unwirkliches Massenspektakel vorkommt, offenbart sich mir beim Laufen am Strand auch heute wieder der wahre ökologische Super-Gau: mit Plastikabfällen überfüllte Strände. Es ist ein absolut apokalyptisches Bild an einem menschenleeren Strand um sieben Uhr morgens: Plastikfässer, Plastikmöbel, Plastikflaschen, Plastikdeckel, Plastikbeutel, Plastikgeschirr und Plastikdosen. Plastikteile und -partikel in allen Grössen und Formen, vom stürmischen Meer in den Wintermonaten tonnenweise an die Strände gespült und liegengeblieben. Die Strandabschnitte, die ich kilometerweise joggend hinter mich bringe, liegen unter hohen Klippen geschützt und werden selten von Menschen besucht. Die Abfälle stammen ohne Zweifel aus dem Meer. Nun sind dreckige Strände im Winter für mich kein neues Bild. Aber heute entdecke ich überrascht zwei Putzleute, die nun, zum Ende der stürmischen Jahreszeit, damit beauftragt sind, die Katastrophe wegzuräumen. Die grösseren Plastikteile laden sie direkt auf ein Geländefahrzeug mit übervollem Anhänger, die kleineren klauben sie umständlich zwischen Steinchen und Sand hervor und sammeln sie in unzähligen Abfallsäcken ein. Die Verschmutzung ist so horrend, dass die beiden Angestellten wohl kaum einen halben Kilometer pro Tag schaffen. Aber sie scheinen es nicht eilig zu haben, vermutlich haben sie für ihre sisyphische Kleinstarbeit den ganzen Sommer über Zeit. Bis im Winter. Dann wird uns das von stürmischen Winden aufgepeitschte Meer erneut Plastikabfälle vor die Füsse speien. Und die Arbeit kann von vorne beginnen.

Das Mittelmeer ist zugemüllt. Plastik ist kaum abbaubar und er verschwindet nicht einfach. Wir können ihn wegtragen, aber der von uns produzierte Abfall kommt unweigerlich zu uns zurück. Können sie sich erinnern, dass sie in der Schule vom Kreislauf des Wassers gelernt haben? Vom Wasser auf der Erde, das verdunstet, sich zu Wolken bildet und wieder hinunterregnet? Genau so scheint es sich nun mit dem Plastik zu verhalten. Wir schmeissen ihn irgendwo weg und dann liegt er unverschämterweise an einem anderen Ort wieder da.

Der Gedanke, dass es zwischen den verschiedenen Katastrophen einen Zusammenhang geben könnte, lässt sich nicht mehr verdrängen. Ich betrachte die Männer, die hier in stoischer Ruhe Berge von unvernichtbarem Abfall wegtragen, während sich ein tückischer und destruktiver Massendefekt ausbreitet und alles Leben lahmlegt. Die Pandemie als skandalöse Wiederkehr der Natur. Mein Kopf brummt, dabei sollte er doch beim Laufen zur Ruhe kommen. Liegt vor uns die umfassende ökologische Katastrophe? Der Zusammenbruch der Zivilisation? Oder immerhin eine heimtückische Selektion? Aber sicherlich wenigstens ein Weckruf, dass wir nicht mehr hemmungslos weiterfeiern und weiterkonsumieren können, als gäbe es kein Morgen.

Trügerische Idylle...