Samstag, 8. September 2018

Nass

„Sieben Prozent Regenwahrscheinlichkeit“, prophezeit der Gatte am Vorabend, während er die WetterApp konsultiert und schaut mich dann mit dem da-wirst-du-doch-nicht-etwa-laufen-gehen Blick an.
Aber mich schreckt Regen nicht ab, schon gar nicht sieben Prozent. Nach drei Jahrzehnten in Israel bin auch ich, was das Wetter anbetrifft, völlig integriert: ich liebe den Winter mehr als den Sommer und freue mich über Regen und Wolken, oder wenigstens frischen Wind. Nur bitte keine Sonne!
Das ist nicht erstaunlich, denn die Sommermonate sind in Israel klimamässig die Hölle: es ist so tropisch heiss und feucht, dass ich die Tage von Klimaanlage zu Klimaanlage plane. Wenn ich tagsüber vor die Türe trete, erschlägt mich die Hitze. Auch nachts sinken die Temperaturen nicht unter 25 Grad und schon am frühen Morgen kleben mir die Kleider am Leib. Monatelang, ununterbrochen.
Als passionierte Läuferin habe ich meine Läufe während den Sommermonaten aufs Minimalste reduziert und in die frühesten Morgenstunden verlegt, denn sobald die Sonne aufgeht, brennt sie erbarmungslos herunter. Wolken oder gar Regen bleiben monatelang aus. Der Himmel erscheint wochenlang gleichbleibend langweilig sandbeige.

Nicht so heute morgen. Es ist noch dunkel, als ich zu laufen anfange – aber die Wolken sind nicht zu übersehen. Nach wenigen Minuten fängt es sanft zu tröpfeln an. Wie belebend! Ich trage nur eine kurze Laufhose und ein Top und die erfrischenden Tropfen kühlen mich angenehm ab. Spontan schlage ich heute die längere Route ein. Die ersten paar Kilometer lege ich in ununterbrochenem leichtem Regen zurück. Die zwischen den dunkelgrauen Wolken aufgehende Sonne bietet heute ein besonders spektakuläres und ungewohntes Schauspiel. Jetzt wird der Regen stärker, die Tropfen grösser und bald folgt ein regelrechter Wolkenbruch. Der unvergleichlich frische Geruch von Regen steigt aus den sonst staubigen Wegen und Feldern. Meine Laufkleider sind umgehend triefend nass, die Schuhe werden schwer. Anstelle des gewohnten salzigen Schweisses rinnt mir süsses Regenwasser über das Gesicht und in den Mund. Mein Haar trieft und das Wasser rinnt an Armen und Beinen herunter. Das sind nicht sieben, sondern hundert Prozent Regen – aber jetzt gibt es kein Zurück! Ich laufe weiter und bin verzückt und berauscht von dem sinnlichen Erlebnis. Die grauen Wolken spiegeln sich auf den nassen Strassen. Der mir ins Gesicht prasselnde Regen verschafft mir ungekannte Energien, ich fühle mich um Jahrzehnte jünger und lache beim Laufen vor mich hin. Auch die LäuferInnen, die mir entgegenkommen – und das sind wie immer am Samstagmorgen viele – lachen alle wie kleine Kinder. Es ist warm, ich bin pudelnass und dieser Lauf ist Genuss pur.

 

In ein paar Tagen fliege ich mit der Familie in den Urlaub nach Thailand. Thailand ist nicht gerade meine Traumdestination, aber leider bestimme ich nicht alles in dieser Familie.
Bis am Donnerstag muss noch so vieles vorbereitet werden. Die Koffer hervorräumen, Packen, Planen, Tickets und Hotelvoucher ausdrucken. Bis Ende Woche alle Wäsche gewaschen haben. Im Büro möglichst nichts unfertig liegenlassen. Nägel lackieren, Beine enthaaren. Ein Katzensitter muss her, der Kühlschrank leergeräumt werden, der Rasen gemäht. Und wie ich wohl mit den langen Flüge, dem Jetlag, dem ungewohnten Essen und Klima in Asien zurechtkommen werde?
Wie unzählige weitere Verrückte jetten auch wir von hier nach dort, nach Paris, London und Barcelona, nach Marokko, Kuba und Kanada, auf der Jagd nach Abenteuern. Um etwas Aufregung und einige lustvolle Erlebnisse zu erhaschen. Um für kurze Zeit aus dem eintönigen Alltag auszubrechen.



Als ich mich nach eineinhalb Stunden im Regen wieder meinem Wohnort nähere, lege ich heute noch eine Ehrenrunde drauf. Ich springe, durchnässt bis auf die Haut im warmen Regen lachend von Pfütze zu Pfütze. Sind das nicht die wahren Abenteuer?

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