Samstag, 29. September 2018

Abenteuer über den Wolken

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen, wusste einst schon Matthias Claudius. Von meiner Thailand-Reise gäbe es wahrlich viel zu erzählen. Dabei gilt Thailand ja eher als „Asien light“, denn es ist für Touristen sehr gut erschlossen. Für mich, die ich zum ersten mal nach Asien reise, ist es trotzdem sehr erstaunlich und beeindruckend, wie anders der asiatische Lebensstil ist. Wie abenteuerlich diese Reise werden würde, davon bekam ich schon bei unserem Air India Flug nach Bangkok über New Delhi einen Vorgeschmack.

Ein kurzer Blick ins Internet ergibt: Unzureichender Service, mangelhafte Technik, mieses Essen und stundenlange Verspätungen scheinen bei dieser Fluggesellschaft zur Tagesordnung zu gehören. Auch geplatzte Reifen, Notlandungen, betrunkene Piloten oder Ratten an Bord – all dies scheint bei Air India kaum jemanden zu erstaunen. Wir wählen die indische Fluggesellschaft für unseren Flug nach Bangkok aber trotzdem, denn die neue Flugroute über Saudiarabien verkürzt den Flug von Tel-Aviv nach New Delhi auf sensationelle sechs Stunden. Ausserdem ist der Flug verhältnismässig billig und wir sind gespannt auf das komfortable Langstreckenflugzeug, die Boeing 787.

Wenige Tage vor unserer Reise vernehmen wir aus den Nachrichten, dass ein Flug der Air India kurz nach dem Abheben wieder landen musste. Die Crew hatte vergessen, den Schalter zum Druckausgleich in der Kabine zu betätigen, worauf mehrere Passagiere aus Nase und Ohren zu bluten begannen und nach der Notlandung hospitalisiert werden mussten. Ich bin froh, dass dieser Vorfall einigermassen glimpflich abgelaufen ist und zuversichtlich, dass sich nach diesem Präzedenzfall bei den nächsten Flügen jeder einzelne Flugbegleiter bei Air India persönlich um den Schalter für den Druckausgleich kümmern wird.

Am Check-in Schalter erhalten wir drei Reisenden Sitzplätze in verschiedenen Reihen. Der Flug sei voll, versichert uns die Dame in Uniform, sie könne uns leider keine anderen Sitzplätze zuteilen.

Am Gate fallen mir die beiden Piloten auf – der eine mit dem traditionellen Turban und dem hochgezwirbelten Bart und Schnurrbart der Sikhs – die für mich eher wie Fabelwesen aus Tausendundeiner Nacht aussehen, als vertrauenerweckende Piloten. Man entschuldige meine fehlende politische Korrektheit.

Nachdem wir uns im Flugzeug diszipliniert auf unsere vorbestimmten Plätze setzen, stellen wir bald fest, dass die Sitzummern auf der Bordkarte nur eine gutgemeinte Empfehlung sind. Der indische Flugbegleiter geht äusserst locker auf die Wünsche der Passagiere ein und weist Sitzplätze nach seinem puren Gutdünken zu, noch bevor wir abheben. Jemand hat sich auf ihrem Sitz breitgemacht? Kein Problem, setzen sie sich doch einfach da hin, da ist gerade noch ein Platz frei. Sich nach den Nummern zu richten, scheint ihm völlig überflüssig und eigentlich hat er damit ja recht – schlussendlich würden ja wohl doch alle irgendwo Platz finden.

Als wir abheben, ist mir etwas mulmig zumute und ich überlege, bei welcher Flughöhe sich der Überdruck in der Kabine wohl bemerkbar machen würde.

Bald gleiten wir aber ruhig über den Wolken dahin und ich beruhige mich. Es scheint soweit alles in Ordnung zu sein. Wie erwartet hat das mit dem Druckausgleich diesmal reibungslos geklappt. Es fällt mir aber auf, dass die Crew ein sehr seltsames Verhältnis zu den Schaltern und Knöpfen im Flugzeug zu haben scheint: Das Licht geht mehrere Male zu nicht nachvollziehbaren Zeitpunkten an und wieder aus.

Das servierte Essen, für mich vegetarisch, besteht aus Reis, dazu gibt es Gemüse mit grüner Sauce (Curry) und Tofu mit roter Sauce (Curry) und ist höllisch scharf. In meinem Plastikbeutel mit Besteck stecken zwei Löffel und keine Gabel. Aber Verfehlungen, die die Flugsicherheit nicht beeinträchtigen, übersehe ich gerne grosszügig. Ich mag scharfes Essen und wenn man die Currysauce mit reichlich Reis konsumiert, ist sie essbar, wenn auch nach einigen Bissen meine Ohren dampfen und ich Schweissausbrüche habe. Auf die Nachspeise, süsse Griesskugeln in einer Sauce aus Zucker und Rosenwasser, verzichte ich nach einem vorsichtigen Probebiss.

Das Musikangebot beschränkt sich auf indische Musik, deshalb lese ich mein spannendes Buch ohne musikalische Untermalung. Der Flug verläuft angenehm ruhig, obwohl plötzlich das Licht angeht, nachdem sämtliche Reisenden eingenickt sind. Ich staune, aber eine Viertelstunde später geht das Licht genauso unerwartet wieder aus.

Eine gefühlte Ewigkeit später wundere ich mich, wie lange wir wohl schon unterwegs sind. Der Flug sollte ja nur sechs Stunden dauern. Ein Blick auf den Bildschirm vor mir ergibt: 37 Km bis zum Zielflughafen. Eyal und ich schauen uns staunend an. Siebenunddreissig Kilometer? Wir fliegen noch immer sehr hoch. Ob der Pilot wohl gerade seinen Turban neu richten muss und deshalb New Delhi verpasst hat? Einige Minuten später erfolgt aber die erwartete Durchsage, nur etwas dringender als wir uns das von anderen Flügen gewöhnt sind: „Wir landen in fünf Minuten. Bitte nehmen sie ihre Plätze ein, schnallen sich an und stellen sie die Lehnen gerade“. Darauf erfolgt eiliges Gewusel in der Kabine, alle Passagiere hasten auf ihre Plätze, die Flugbegleiter überprüfen in wenigen Sekunden, ob alles in Ordnung ist und ob die Passagiere angeschnallt sind. Meine Lehne steckt fest und lässt sich nicht gerade richten, aber dafür hat jetzt niemand Zeit. Pech gehabt! Kurz vor der Landung stürmt noch ein Passagier aus der Toilette und schafft es gerade noch, sich hinzusetzen, als wir tatsächlich nach wenigen Minuten landen. Erstaunlicherweise herrscht während der Landung vollkommene Dunkelheit in der Kabine und das Licht wird auch nicht eingeschaltet, als die Maschine schon zum Gate rollt. Erst als das Flugzeug vollständig zum Stehen kommt, atme ich auf.

Bis zu unserem Anschlussflug verbringen wir eine Stunde auf dem Flughafen von New Delhi, der sich grosse Mühe gibt, möglichst international zu erscheinen, was aber nur begrenzt erfolgreich ist. Im Fastfood-Bereich staunen wir bei McDonalds über die Hamburger aus Hühnerfleisch, da die Inder ja kein Rind essen. Wir schaffen es, einen Kaffee zu finden, der nicht allzusehr nach Curry schmeckt und suchen vor dem Weiterflug noch die Toiletten auf. Zum Glück sind diese mit WC-Schüsseln ausgestattet, das ist hier nicht selbstverständlich, aber ungewohnterweise bedient eine freundliche Dame beim Händewaschen für mich den Seifenspender und reicht mir zum Abtrocknen das Papier.

Dann geht es weiter zum nächsten exotischen Abenteuer: Flug New Delhi-Bangkok.

Dieser schmackhafte Imbiss wurde uns bei Bangkok Air serviert

Samstag, 8. September 2018

Nass

„Sieben Prozent Regenwahrscheinlichkeit“, prophezeit der Gatte am Vorabend, während er die WetterApp konsultiert und schaut mich dann mit dem da-wirst-du-doch-nicht-etwa-laufen-gehen Blick an.
Aber mich schreckt Regen nicht ab, schon gar nicht sieben Prozent. Nach drei Jahrzehnten in Israel bin auch ich, was das Wetter anbetrifft, völlig integriert: ich liebe den Winter mehr als den Sommer und freue mich über Regen und Wolken, oder wenigstens frischen Wind. Nur bitte keine Sonne!
Das ist nicht erstaunlich, denn die Sommermonate sind in Israel klimamässig die Hölle: es ist so tropisch heiss und feucht, dass ich die Tage von Klimaanlage zu Klimaanlage plane. Wenn ich tagsüber vor die Türe trete, erschlägt mich die Hitze. Auch nachts sinken die Temperaturen nicht unter 25 Grad und schon am frühen Morgen kleben mir die Kleider am Leib. Monatelang, ununterbrochen.
Als passionierte Läuferin habe ich meine Läufe während den Sommermonaten aufs Minimalste reduziert und in die frühesten Morgenstunden verlegt, denn sobald die Sonne aufgeht, brennt sie erbarmungslos herunter. Wolken oder gar Regen bleiben monatelang aus. Der Himmel erscheint wochenlang gleichbleibend langweilig sandbeige.

Nicht so heute morgen. Es ist noch dunkel, als ich zu laufen anfange – aber die Wolken sind nicht zu übersehen. Nach wenigen Minuten fängt es sanft zu tröpfeln an. Wie belebend! Ich trage nur eine kurze Laufhose und ein Top und die erfrischenden Tropfen kühlen mich angenehm ab. Spontan schlage ich heute die längere Route ein. Die ersten paar Kilometer lege ich in ununterbrochenem leichtem Regen zurück. Die zwischen den dunkelgrauen Wolken aufgehende Sonne bietet heute ein besonders spektakuläres und ungewohntes Schauspiel. Jetzt wird der Regen stärker, die Tropfen grösser und bald folgt ein regelrechter Wolkenbruch. Der unvergleichlich frische Geruch von Regen steigt aus den sonst staubigen Wegen und Feldern. Meine Laufkleider sind umgehend triefend nass, die Schuhe werden schwer. Anstelle des gewohnten salzigen Schweisses rinnt mir süsses Regenwasser über das Gesicht und in den Mund. Mein Haar trieft und das Wasser rinnt an Armen und Beinen herunter. Das sind nicht sieben, sondern hundert Prozent Regen – aber jetzt gibt es kein Zurück! Ich laufe weiter und bin verzückt und berauscht von dem sinnlichen Erlebnis. Die grauen Wolken spiegeln sich auf den nassen Strassen. Der mir ins Gesicht prasselnde Regen verschafft mir ungekannte Energien, ich fühle mich um Jahrzehnte jünger und lache beim Laufen vor mich hin. Auch die LäuferInnen, die mir entgegenkommen – und das sind wie immer am Samstagmorgen viele – lachen alle wie kleine Kinder. Es ist warm, ich bin pudelnass und dieser Lauf ist Genuss pur.

 

In ein paar Tagen fliege ich mit der Familie in den Urlaub nach Thailand. Thailand ist nicht gerade meine Traumdestination, aber leider bestimme ich nicht alles in dieser Familie.
Bis am Donnerstag muss noch so vieles vorbereitet werden. Die Koffer hervorräumen, Packen, Planen, Tickets und Hotelvoucher ausdrucken. Bis Ende Woche alle Wäsche gewaschen haben. Im Büro möglichst nichts unfertig liegenlassen. Nägel lackieren, Beine enthaaren. Ein Katzensitter muss her, der Kühlschrank leergeräumt werden, der Rasen gemäht. Und wie ich wohl mit den langen Flüge, dem Jetlag, dem ungewohnten Essen und Klima in Asien zurechtkommen werde?
Wie unzählige weitere Verrückte jetten auch wir von hier nach dort, nach Paris, London und Barcelona, nach Marokko, Kuba und Kanada, auf der Jagd nach Abenteuern. Um etwas Aufregung und einige lustvolle Erlebnisse zu erhaschen. Um für kurze Zeit aus dem eintönigen Alltag auszubrechen.



Als ich mich nach eineinhalb Stunden im Regen wieder meinem Wohnort nähere, lege ich heute noch eine Ehrenrunde drauf. Ich springe, durchnässt bis auf die Haut im warmen Regen lachend von Pfütze zu Pfütze. Sind das nicht die wahren Abenteuer?