Der Besuch in Tel-Aviv, der „Stadt, die niemals schläft“ ist für mich schon eine Fernreise per se. Leider schaffe ich Provinzhuhn es höchst selten in die pulsierende Grossstadt am Mittelmeer, bin aber dafür jedesmal von jedem Besuch umso mehr begeistert. Tel-Aviv hat unheimlich viel zu bieten: Einen kilometerlangen Sandstrand, viele verschiedene ältere und neuere Viertel, ein unerschöpfliches Angebot an kulturellen Anlässen, unzählige Märkte, Restaurants, Bars, Strassen-Imbisse und vor allem – schräge Leute ohne Ende. In Tel-Aviv kann man gar nicht aus dem Rahmen fallen, so ausgefallen man sich auch inszeniert.

Leider lässt die israelische Organisation des Anlasses zu wünschen übrig und so verlassen wir das Hostel zwar mit vielfältigen Eindrücken von phantasievoller Bartkunst, aber ohne zu erfahren, wer den diesjährigen Europameister-Titel davontragen wird.

Zum Abendessen finden wir ein freies Tischchen in einem vietnamesischen Restaurant. Ich habe keine Ahnung, was ich von den fremdartig klingenden Namen in der Menükarte zu erwarten habe und so bestelle ich einfach eine Auswahl an Häppchen. Alles schmeckt fantastisch.
Den Abend runden wir mit einem für mich besonders exotischen Anlass ab: in einer Tel-Aviver Bar treffen wir uns mit Heimweh-Schweizern zum „Public Viewing“ des Fussballspiels Schweiz gegen Serbien. Mit Fussball habe ich sonst überhaupt nichts am Hut, aber heute lasse ich mich abenteuerlustig auf dieses Erlebnis ein. Eine halbe Stunde vor Anfang des Spiels haben sich schon zahlreiche Israel-Schweizer eingefunden und ich finde es sehr unterhaltsam, in der auf die Dizengoff-Strasse offenen Bar neue Leute kennenzulernen und schweizerdeutsch zu plaudern. Dann wird das Spiel angepfiffen, ich konzentriere mich auf die Leinwand und versuche, einen möglichst interessierten und fachkundigen Eindruck zu machen. Nach etwa fünfzehn Minuten hin und her – Serbien führt nun schon 1:0 – frage ich den Gatten leise, wie lange denn so ein Spiel dauert... Zweimal 45 Minuten, flüstert er zurück und damit hat sich wohl auch sein Wissen zum Thema Fussball erschöpft. Dass weder der Gatte noch ich Fussball mögen, mag vielleicht noch durchgehen, leider trinken wir aber auch beide kein Bier und bald stelle ich inmitten von gröhlenden Fussballfans fest, dass es in dieser Bar nur zwei schräge Vögel gibt – und die sind wir.
Die Zuschauer neben mir schütten fassweise Bier in sich hinein und ich werde schon ganz nervös, weil sie offensichtlich bis zur Pause nicht zur Toilette gehen können. Ausserdem wird hier ein Repertoire an mir bis anhin unbekannten schweizerdeutschen Flüchen zum Besten gegeben, das mich ernsthaft an meinen Schweizerdeutsch-Kenntnissen zweifeln lässt. Nach der Hälfte der ersten Halbzeit stelle ich fest, dass – die Roten gar nicht die Schweizer sind, sondern die Weissen! Na ja, dann bejuble ich jetzt eben die Weissen, so genau nimmt das ja keiner!
Viele der mitfiebernden Fans rauchen ganz unsportlich Zigaretten in Ketten und ich langweile mich nicht nur zunehmend, sondern befürchte auch ernsthaft im immer dichter werdenden Rauch zu ersticken. Meine kulturelle Experimentierfreude stösst an ihre Grenzen. Wenn ich ohne das Wissen leben kann, wer die Europameisterschaft im Schnauz- und Bartwettbewerb gewonnen hat, dann werde ich auch das Verpassen der zweiten Halbzeit dieses Fussballspiels verschmerzen können. Wir schleichen uns möglichst unauffällig aus der Bar und fahren nach Hause.
Wie schön, dass ich trotz den exotischen Erlebnissen dieses Abends die Nacht im eigenen Bett verbringen darf. Gemäss meiner neuen Leidenschaft schaue ich am Morgen natürlich sofort die Fussballresultate des gestrigen Abends nach. Zwei zu eins für die Schweiz! Hurra, wir haben gewonnen!