Montag, 28. April 2025

Flagge zeigen



Diese Woche wird in Israel der Unabhängigkeitstag gefeiert. Das Land, die Häuser, die Strassen und die Autos sind jetzt schon mit israelischen Flaggen geschmückt.

Im Ausland werden derweil die israelische Flagge sowie auch die Nationalhymne aufgrund der kommunizierten Realitätsverzerrung, von Desinformation und, tja, dummem Herdenverhalten, als Provokation empfunden. Das hat Chris Faschon am eigenen Leib erfahren müssen. Der Schweizer Journalist und Autor jüdischen Glaubens wurde immer wieder in verschiedenen Formen belästigt, weil er eine israelische Fahne und die gelbe Schleife, die die israelischen Geiseln symbolisiert, im Fenster seines Hauses in Kreuzlingen hängen hat. Als Judenhasser im Februar einen Stein auf das beflaggte Fenster warfen, schrieb sogar die Thurgauer Zeitung darüber.

Ronaldo Goldberger, ein freischaffender Journalist aus Basel, berichtet auf seinem unabhängigen YouTube-Kanal über Aktualitäten aus jüdischer Sicht. In dieser Sendung spricht Ronaldo mit Chris über die Reaktionen, die er auf die israelische Flagge in seinem Fenster erhalten hat und über sein Gefühl in der Schweiz als Jude. Das Gespräch finde ich übrigens alleine schon unterhaltsam, weil sowohl Ronaldo als auch Chris in breitesten Schweizer Dialekten sprechen, der eine in Basler, der andere in Thurgauer Dialekt, wovon einiges sogar für mich nur schwer verständlich ist.

Hier schreibe ich einige Minuten von Chris Faschons Aussagen mit. Leider schafft es nicht einmal ChatGPT, vom Thurgauischen ins Hochdeutsche zu transkribieren. Das Deutsch ist dementsprechend etwas kurios, auch wenn ich mir erlaubt habe, ziemlich frei zu übersetzen.

"...die sagen dann immer, du bist mutig. Und ich denke mir, dass ich nur deswegen mutig bin, weil ich der Einzige bin. Es wäre überhaupt keine besondere Leistung (eine Flagge aufzuhängen), wenn die westliche Welt so ein grauenhaftes Verbrechen (das 7. Oktober-Massaker) vereint verurteilen und darauf bestehen würde, die Geiseln dort herauszuholen. Und wenn es UNO-Sondertruppen bräuchte, und jedes Land Leute einsetzen müsste. Ganz egal, wie lange es dauert: Wir holen sie dort raus! Und wenn alle Regierungen dastehen würden, mit Israel-Anstecker, oder zumindest der gelben Schleife, und sagen würden, das lassen wir nicht zu! Hier geht es um unsere Werte, um Freiheit! Es geht ja nicht nur um Israel und Hamas. Diese Baustelle ist viel, viel grösser. Hier wird unsere Demokratie angegriffen, und das bedeutet, dass man Rückgrat zeigen muss – Hier sind wir, bis hierher, und nicht weiter!
Wenn Leute mich für meinen Mut loben, dann antworte ich: Hier ist der Link, über den ich die Fahne bestellt habe, es ist ganz einfach, das nachzumachen. Und jeder, der es nachmacht, macht mich persönlich ein bisschen sicherer."

"Ich glaube, den Schweizern fällt es besonders leicht, zu schweigen. Die Helvetier sind im Allgemeinen nicht gerade mutig...
...Man kann sich das so lange leisten, bis der Gegner – man entschuldige, dass ich diese Menschen so nenne – bis die andere Seite eine bestimmte kritische Masse erreicht. Wenn die mal so und so viele sind, dann kann man auch keine Fahne mehr heraushängen oder sich positionieren, das geht dann nur noch mit Polizeischutz, sonst wird man auf der Strasse kaltgemacht. Und das in westlichen, freiheitlichen, demokratischen Ländern!"

"...Ich habe schon ein Messer im Briefkasten gehabt, so als Nachricht. Ich habe schon E-Mails erhalten, mit Bemerkungen, dass man für mich die Öfen noch einmal anheizen sollte. Ich nehme das zu einem gewissen Grad schon ernst. Aber, wie gesagt, nur sind wir in diesem beschaulichen Thurgau in einer Situation, dass nicht 150 Leute vor meinem Fenster stehen. Das wäre der kritische Punkt, in dem eine bestimmte Masse überschritten wäre, und ich könnte nicht mehr ohne Polizeischutz aus dem Haus. Solange das noch so ist, ist es wichtig, genau jetzt Position zu beziehen. Jetzt kann man noch etwas bewirken. Danach den Laden wieder unter Kontrolle zu bekommen, wird sehr viel schwieriger sein."



In der zweiten Maihälfte wird Yuval Raphael Israel am Eurovision Song Contest in Basel mit dem Lied "New Day Will Raise" vertreten. Die junge israelische Sängerin hat den Horror des 7. Oktober-Massakers überlebt. Sie war am Nova Musikfestival, als die Terroristen kamen und sie überlebte unter Leichen.
Nun kriechen die Judenhasser aus ihren Löchern – nicht das erste Mal am ESC. In den Medien ist die Hölle los, entweder wird der Sängerin das Erlebte nicht geglaubt, oder ihr Trauma wird ins Lächerliche gezogen, und damit das Trauma aller Überlebenden in Israel. Verschiedene Aktivisten und propalästinensische Bewegungen fordern gar den Ausschluss Israels vom Wettbewerb.

Ich wünsche mir von meinen Basler und Schweizer Freunden und Bekannten, dass sie sich gegen den Antisemitismus, gegen die Anti-Israel Bewegung positionieren, gerade während dem ESC, an welchem viele Touristen die Stadt besuchen werden. Bitte hört euch an, was Chris Faschon zu sagen hat und tragt einen Israel-Anstecker oder hängt eine Israelflagge in eure Fenster. Damit sich Juden und Israelis, Besucher wie Yuval Raphael und ihre Fans, oder Schweizer Juden wie Chris Faschon, in der Schweiz ein bisschen sicherer fühlen.

Tip: Wer sich mit Israel gerne kulinarisch solidarisch zeigen möchte, sollte im Eurovision Village den Stand von Hungry Pita aufsuchen.


Das ikonische Bild einer frenetischen Masse, in derer Mitte ein einziger Mann in Verweigerung des Hitlergrusses die Arme verschränkt.




Donnerstag, 24. April 2025

Wo verläuft die Grenze



Über meinen Besuch bei der Kosmetikerin und das etwas fragwürdige Resultat habe ich vor Kurzem berichtet. Nun bekenne ich: Ich habe nicht nur einen Besuch, sondern eine ganze Serie von Verschönerungsterminen gebucht! Warum? Ich bin sechzig, arbeite seit vierzig Jahren und kann mir das leisten. Man lebt nur einmal und muss ja nicht all das angescheffelte Geld den lieben Kindern vererben. Zwei Termine habe ich schon hinter mir. Jetzt ertappe ich mich öfter dabei, dass ich etwas länger und genauer in den Spiegel gucke: Sind sie etwas sanfter geworden? Etwas unauffälliger? Oder – oh Schreck – vielleicht sogar markanter? Die Falten. Sehe ich etwas frischer, etwas jugendlicher aus? Oder werde ich das wenigstens, wenn ich alle Termine hinter mir habe? Denn, falls nicht – habe ich damit ziemlich viel Geld aus dem Fenster geworfen. Die Gesichtsmassagen im kerzenbeleuchteten Raum sind jedoch wunderbar tiefenentspannend und können vielleicht – falls die Falten partout nicht verschwinden – als Alternative zu einer Behandlung von Trauma- oder Stresssymptomen betrachtet werden.

Wie es so ist mit über sechzig, betrüben mich ausser den Falten noch viele andere Sorgen und Zipperlein. Die Schmerzen in meinem linken Knie haben sich erfreulicherweise nach mehr als einem Jahr und viel Dehnungsarbeit endlich in Luft aufgelöst. Umso grösser war die Enttäuschung, als bei einem meiner ersten Laufversuche schon nach wenigen Hundert Metern die rechte Hüfte streikte. Ein stechender Schmerz zwang mich, umgehend in langsames Schritttempo überzugehen und vollkommen niedergeschlagen nach Hause zu hinken. Die Schmerzen blieben hartnäckig mehrere Tage und ich fühlte mich einfach nur noch alt. Es kann doch nicht sein, dass ich meinen geliebten Laufsport jetzt schon aufgeben muss! Ich habe auch keine Geduld mehr, noch einmal mehrere Monate auf Besserung zu warten. Jetzt musste eine sofortige Lösung her!

Leider bin ich aber auch geistig nicht mehr so flink, und so verwechselte ich Chiropraktik mit Osteopathie. Erst nachdem ich wild entschlossen einen Termin bei einer Osteopathin ergattert hatte, dämmerte mir, dass es sich dabei gar nicht um die gewünschte sofortige Wunderheilung handelte, die mir ein Chiropraktiker mit wenigen Handgriffen hätte besorgen können.

Und so lag ich also an einem Morgen bei einer Handauflegenden Frau auf dem Behandlungsbett. Sie klärte mich auf, dass sie mithilfe von Ertasten und Mobilisieren meinen Körper zu stimulieren und Blockaden zu lösen versucht. Ich gebe mir wirklich grösste Mühe, offen zu sein für alternative Behandlungsmethoden – schliesslich sind diese nicht nur mein letzter Rettungsanker, sondern kosten auch eine beträchtliche Summe Geld. Mit den herkömmlichen Orthopäden und Physiotherapeuten habe ich nämlich schon lange abgeschlossen.

Was soll ich sagen? Fühlte ich wirklich etwas Besonderes an den Stellen, an denen sie mich berührte? Spürte sie wirklich etwas, wenn sie behauptete, sie ertaste verhärtetes Gewebe? Oder band sie mir einfach unverfroren einen Bären auf? Hat sie eine besondere Gabe in ihren Händen oder hätten meine Hände dieselbe Wirkung? Reicht es, wenn sie von der Behandlung überzeugt ist, oder ist es zwingend notwendig, dass ich auch daran glaube? Viele Fragen. Die Antworten werden sich vielleicht irgendwann einmal ergeben. Vielleicht auch nicht. 
Mir war leicht schwindlig und heiss, als ich das Behandlungszimmer verliess. Das könnte aber auch mit dem "Chamsin" zu tun haben, der uns an diesem Tag trockene Luft und Temperaturen um die 40 Grad bescherte. Natürlich erklärte mir auch die Osteopathin, dass ich mehrere Behandlungen werde über mich ergehen lassen müssen, bis ich eine Besserung erwarten könnte.

Zum Abschluss bleibt eine Frage, die sich wohl jeder selbst beantworten muss: Wo verläuft die Grenze zwischen Selbstheilung, den Möglichkeiten der Alternativmedizin und Scharlatanerie?







Dienstag, 22. April 2025

Kapitel 5.3

Die Brille von Lior Rodaif aus Nir Yitzhak.
Lior fiel am 7. Oktober im Kampf gegen Dutzende Terroristen.
Seine Leiche wurde nach Gaza entführt und noch nicht zurückgegeben.


Kibbutz Or HaNer
Kibbutz Nir Am
Kibbutz Gevim
Moshav Yakhini
Kibbutz Mefalsim
Kibbutz Kfar Aza
Kibbutz Sa’ad
Kibbutz Nahal Oz
Kibbutz Alumim
Kibbutz Be’eri
Kibbutz Re’im
Kibbutz Kissufim
Kibbutz Ein HaShlosha
Kibbutz Nirim
Kibbutz Nir Oz
Kibbutz Magen
Moshav Ein HaBesor
Moshav Yesha and Mivtahim
Kibbutz Nir Yitzhak
Kibbutz Sufa
Moshav Pri Gan and Moshav Shlomit
Kibbutz Holit
Moshav Yated
Kibbutz Kerem Shalom
Kibbutz Urim

In jedem dieser Orte (und vielen mehr, dies ist eines der ersten Kapitel) sind am schwarzen Schabbat Dutzende Menschen niedergemetzelt oder – lebend, verletzt oder tot – verschleppt worden. Dutzende Häuser sind abgefackelt, ganze Quartiere in Schutt und Asche gelegt worden. Die detailliert beschriebenen Attacken sind verschieden, ähneln sich, reihen sich aneinander, verketten sich, verschwimmen. Ich bin mit Lesen noch nicht einmal halb durch und es hört einfach nicht mehr auf. Mord, Totschlag, Folterung, Schändung, Vergewaltigung, Brandstiftung, Raub, Plünderung, Zerstörung. Jede einzelne "Geschichte" in dieser Chronik der Ereignisse ist schockierender als die vorherige. Vieles in Echtzeit aufgezeichnet und über soziale Medien verbreitet. Gibt es in irgendeiner Sprache überhaupt ein Wort, das dieser Schlächterei gerecht werden könnte? 

Die schockierendsten der Gräueltaten sind in meinem Gedächtnis eingraviert und ich werde sie hier nicht wiedergeben. Einige der Ereignisse stehen in dem ganzen Wahnsinn aufgrund verschiedener Besonderheiten jedoch speziell hervor.

Eines der ersten Opfer des Kibbutz Kfar Aza war Modi Amir 67, der am 7. Oktober kurz nach 7 Uhr ermordet wurde. Modi war ein schneller Denker, der immer die praktischste Lösung fand. Als die Terroristen in sein Haus einbrachen, wies Modi seine beiden Töchter und seine Enkelin an, sich in der Dusche des Schutzraumes zu verstecken. Er selbst beschloss, im Hauptteil des Raumes zu bleiben, und hoffte, dass die Terroristen glauben würden, er sei allein dort. Die Rechnung ging auf, die Terroristen erschossen Modi, wobei seine Leiche den Eingang zum Badezimmer versperrte. Modis Töchter und Enkelin blieben einen ganzen Tag dahinter unentdeckt und wurden dann evakuiert.

Ähnlich Shlomo Ron, ein Mitbegründer des Kibbutz Nahal Oz, der in seinem Wohnzimmer erschossen wurde. Er hatte seine Frau, seine zwei Töchter und seine Enkelkinder angewiesen, im Schutzraum zu bleiben und setzte sich dann ausserhalb des Schutzraumes in einen Sessel. Die Terroristen, die in das Haus einbrachen, erschossen den 85-Jährigen sofort. Wie er es beabsichtigt hatte, gingen die Angreifer davon aus, dass der Rest des Hauses leer war, und verließen es.

Als freiwilliges Mitglied des zivilen Sicherheitsteams des Kibbutz Kissufim musste Shai Asher seine Frau und Kinder den ganzen Tag im Schutzraum des Hauses zurücklassen. Im Laufe des Morgens war der Kontakt zu ihnen für einige Stunden abgebrochen. Shai befürchtete das Schlimmste, fand die Familie aber unversehrt im Schutzraum. Bevor er das Haus erneut verliess, zerstörte er das Wohnzimmer, zerbrach das grosse Fenster und beschmierte Wände und Böden grosszügig mit Ketchup, um es so aussehen zu lassen, als hätte bereits ein Massaker stattgefunden. Dann zog er wieder los, um die Angreifer zu bekämpfen. Seine Familie wurde gerettet.   

Die Brüder Menachem und Elhanan Kalmanson aus Otniel im Westjordanland beschlossen, am 7. Oktober um 16:00 Uhr, nach Be'eri zu fahren, nachdem sie von den Anschlägen gehört hatten. Als sie gegen Abend im Kibbutz ankamen, liehen sie sich ein kleines gepanzertes Fahrzeug von einer von mehreren vor dem Tor versammelten Soldateneinheiten und fuhren hinein. In den folgenden 16 Stunden gingen sie von Haus zu Haus und retteten die Bewohner, die sich in ihren Schutzräumen befanden und brachten sie aus dem umkämpften Kibbutz heraus. Um sich als Israelis erkenntlich zu geben, sangen sie hebräische Lieder und Gebete. Die Brüder retteten Menschen aus brennenden Häusern unter Beschuss und nahmen bis zu 15 Personen in einem Jeep auf, der für 4 Personen gedacht war. Elhanan Kalmanson, 41, wurde erst am 9. Oktober von einem Terroristen, der sich versteckt hatte, getötet; sein Bruder überlebte.

Am späteren Nachmittag des 7. Oktober rettete die Sicherheitstruppe des Kibbutz Nir Am eine Gruppe von zehn palästinensischen Arbeitern aus dem Gazastreifen, die sich in einer Avocado-Plantage versteckt hatten, nachdem ihr Fahrzeug, das sie zu den Pomelo-Hainen von Nir Am brachte, von Hamas-Terroristen in die Luft gesprengt wurde.

Im Kibbutz Nahal Oz wurden zwei thailändische Arbeiter, die ursprünglich als entführt oder vermisst gemeldet waren, nach 6 Tagen auf den Feldern gefunden. Sie waren vollkommen schockiert und hielten sich nach all diesen Tagen immer noch versteckt.



Donnerstag, 17. April 2025

Countdown

Der Countdown läuft. Die Spannung steigt. Noch fünf Wochen. Fünf Wochen bis zur Hochzeit unserer Tochter. 
In diesen Tagen gehen die offiziellen Einladungen raus, an über 400 Gäste. Wer die genau alle sind, weiss ich auch nicht, aber so ist das in Israel üblich. Die festlichen Kleider sind parat, die Sandalen warten glitzernd im Schrank. In unserer Vorratskammer steht ein neuer zusätzlicher Kühlschrank, der demnächst mit Wein und Bier gefüllt wird, um dem Gästeansturm in den Tagen vor und nach dem Fest gerecht zu werden. 
Gestern verwöhnte ich mich mit einem Besuch bei einer Kosmetikerin, etwas das ich noch nie im Leben auf eigene Kosten unternommen habe. Die Behandlung war sehr angenehm und beruhigend. Im Liegen sah meine Haut dann tatsächlich fantastisch verjüngt aus. Leider hielt das Wunderwerk aber der Erdanziehungskraft im Stehen nicht stand und die Falten waren umgehend wieder da. Na ja, macht nichts, Hauptsache das junge Paar ist schön und strahlt an seinem grossen Tag! 
Heute steht noch Anzüge-Anprobe für die Männer auf dem Programm. 
Möge es nur immer so weiter gehen, mit den erfreulichen Besorgungen!





Mittwoch, 16. April 2025

Billy

Eine weitere Geisel konnte in diesen Tag aus Gaza nach Israel zurückgebracht werden. Leider handelt es sich nicht um eine der 59 menschlichen Geiseln, die seit 558 Tagen unter grauenhaften Bedingungen dort festgehalten werden, sondern …

Billy ist der 3-jährige Kavalier-King-Charles Spaniel der Familie Danzig aus Nir Oz. Die Hündin Billy entschlüpfte aus dem Schutzraum der Familie, als die Terroristen im Haus wüteten, danach war sie verschwunden. Es stellt sich heraus, dass sie von den Terroristen nach Gaza verschleppt worden war, vielleicht als Souvenir aus Israel für die Kinder. 

Zwei Familienmitglieder der Familie Danzig, Alex Danzig und Itzik Elgarat wurden am Tag des Massakers nach Gaza entführt. Sie wurden in Gaza ermordet, ihre sterblichen Überreste konnten vor Kurzem nach Israel zurückgebracht und beerdigt werden.

Verschiedene Organisationen in Israel kümmern sich seit dem 7. Oktober-Massaker auch um die vielen verschwundenen Haustiere. Familie Danzig suchte Billy mit Inseraten, unter anderem auf facebook im August 2024. Jetzt wurde die Hündin von der IDF Golani-Truppe, die in den letzten Tagen im südlichen Gazastreifen stationiert ist, gefunden und zur Behandlung nach Israel gebracht. Anhand ihres Chips konnte sie identifiziert werden. In Kürze wird Billy nach mehr als eineinhalb Jahren wieder mit ihrer Familie vereint sein!



Donnerstag, 10. April 2025

Nichts ist wie es war

Auf Sabine Ta'asa's Geschichte bin ich im Britischen Bericht gestossen. Aus persönlichen Gründen konnte ich nicht einfach weiterlesen, ich musste mehr über die Frau und ihre Familie aus Netiv HaAsara erfahren. Hier ist ihre Geschichte vom 7. Oktober 2023:

Or Ta'asa (17) war in den frühen Morgenstunden mit Freunden am nahegelegenen Strand Zikim, unmittelbar nördlich der Grenze zwischen Gaza und Israel. In einer ersten Welle schafften es acht Terroristen, über das Wasser aus Gaza nach Israel einzudringen (einige wurden abgewehrt). Or, vier weitere Jugendliche und ein Erwachsener versteckten sich in den öffentlichen Toiletten am Strand. Die Terroristen fanden die Flüchtenden und ermordeten alle kaltblütig. Kurz nach 06:30 Uhr telefonierte seine Mutter Sabine noch mit Or, sie hörte dabei schon das Schiessen im Hintergrund. Wenige Minuten später wurde Or von den Terroristen mit sechs (!) Kopfschüssen in der Toilettenkabine hingerichtet, kurz bevor sie die weiteren Jugendlichen in den anderen Kabinen niederstreckten. Das Ganze streamten die Terroristen life auf Telegram.

Etwa zeitgleich drangen weitere Terroristen in das Haus der Familie Ta'asa in Netiv HaAsara ein, wie von den Überwachungskameras detailliert aufgezeichnet wurde. Sabine Ta'asa schloss sich mit dem 15-jährigen Sohn Zohar im Schutzraum des Hauses ein. Die Aufnahmen zeigen, wie Gil Ta'asa, der Ehemann von Sabine, mit den zwei jüngeren Söhnen, Shay und Koren, alle erst gerade aufgewacht und deshalb noch in Unterwäsche, in einen anderen Schutzraum auf der Rückseite des Hauses eilten. Während Gil die 12- und 9-Jahre alten Jungen in den Bunker schob, warf einer der Terroristen eine Granate in Richtung des Bunkers. Gil stürzte sich auf die Granate, er wurde zerfetzt und rettete damit seine Söhne. Die Angreifer schossen Gil in den Kopf, um sicherzustellen, dass er tot war und führten dann die beiden verletzten, blutüberströmten und panischen Kinder in die Küche. Einer der Terroristen öffnete den Kühlschrank der Familie, trank aus einer Colaflasche und fragte die Kinder, ob sie Wasser wollen. Ein weiterer Terrorist benutzte das Telefon des älteren Jungen, um auf Facebook die Ermordung des Vaters zu posten. Dann zogen sie weiter und liessen die vollkommen schockierten Jungen in der Küche zurück, dem Jüngeren war einer der Augäpfel aus der Höhle gesprungen. Kurz darauf flohen die Ta'asa-Jungen aus dem Nebenhaus und rannten zum Haus ihrer Mutter. Sabine, die nicht wissen konnte, ob die Terroristen noch im Haus waren, öffnete unter Lebensgefahr die Türe des Schutzraumes, um ihre zwei verletzten Söhne zu sich zu holen. Von ihnen erfuhr sie, dass ihr Mann tot ist. Sabine versuchte aus dem Schutzraum auf allen nur erdenklichen Wegen irgendwelche Hilfe zu erhalten, der verletzte Sohn schien im Sterben zu liegen. Doch erst viel später konnten sie gerettet und evakuiert werden. Dass der ältere Sohn Or ebenfalls ermordet worden war, wussten sie damals noch nicht.




Auf YouTube gibt es ein längeres Video, in welchem Sabine über die detaillierten Abläufe dieser Stunden berichtet. Ich höre mir das Video an, ich bin paralysiert dabei, mein Herz rast und ich habe noch lange danach starkes Herzklopfen.

Sabine und ihre drei überlebenden Söhne leben zur Zeit in Netanya, also ganz in meiner Nähe. Es geht ihnen schlecht. Wie alle Bewohner der Kibbutzim in der Umgebung des Gazastreifens haben sie ihre gewohnte Umgebung, ihre Bekannten und Freunde verloren oder verlassen müssen, der jüngere Sohn ist auf einem Auge blind und sie sind alle stark traumatisiert.

Sabine Ta'asa kämpft heute nicht nur für die Genesung ihrer Söhne, sondern auch um internationale Anerkennung und Unterstützung für die israelischen Opfer, vor allem die Kinder. Ein Jahr nach dem Massaker sprach sie vor dem UNO-Gremium für Kinderrechte und drängte darauf, sich auf die israelische Jugend zu konzentrieren, nicht nur auf die aus dem Gazastreifen.

Diese Geschichte – eine von Vielen – lässt mich aufgewühlt und betroffen zurück. Während Sabine erregt erzählt, fiebere ich mit. Und dann – bin ich einfach nur schockiert, dass wir uns schon wieder im Alltagsmodus befinden. Mir wird bewusst, wie leicht es ist, eineinhalb Jahre danach die Opfer des Massakers aus den Augen zu verlieren.

Tausende Israelis sind am 7. Oktober durch die Hölle gegangen, sie haben alles verloren und kämpfen seither mit den Verletzungen, den Verlusten und dem Trauma. Wir hingegen – wie schnell wir in unsere alten Leben zurückgefunden haben. Wie schnell wir unseren Alltag, unsere Leichtigkeit und Selbstzufriedenheit wieder aufgenommen haben. Das ist nicht zu fassen. Dabei ist doch rein gar überhaupt nichts, wie es einst war. 



Gegen das Vergessen kann man unter anderem Details über alle Ereignisse auf dem digitalen Gedenkprojekt von KAN 7.10.360 nachlesen. Der Angriff auf die Ta'asa Familie ist hier ausführlich beschrieben.





Freitag, 4. April 2025

Die verhexte Pastamaschine



Im Rhythmus der Musik, mal schnell, dann wieder langsamer, verknete ich das Mehl und die Eier mit Hingabe zu einem geschmeidigen Teig. Dann, nachdem er unter einer heiss ausgespülten Schüssel geruht hat, walle ich ihn aus und verarbeite ihn liebevoll in bissgerechten Portionen Stück für Stück zu Farfalle, Ravioli, Fettuccine oder Pappardelle. Manchmal genehmige ich mir dazu einen Drink, der zusätzlich den Appetit anregt und mir einen leichten Kopf beschert. So kann ich mich stundenlang beschäftigen, frische Pasta zuzubereiten hat für mich therapeutischen Effekt. Äusserst wichtig dabei: Die Musik darf auf keinen Fall weggelassen werden. Ohne Musik wird Kochen zu einer rein industriellen Tätigkeit und das Essen wird fad und langweilig.

Am 6. Oktober 2023, dem letzten Tag einer anderen Epoche, bekam ich eine Pastamaschine geschenkt, die alles etwas einfacher machen und die Produktion steigern sollte. Natürlich musste ich das glänzende Wunderding gleich ausprobieren, und so verbrachte ich den Morgen des 7. Oktobers mit der Herstellung von Nudeln. Doch es war wie verflixt an diesem Morgen. Der Teig klebte, an der Maschine, an meinen Händen, die Nudeln klebten aneinander, und als ich versuchte, sie ein zweites Mal zu verarbeiten, lief die Angelegenheit vollkommen aus dem Ruder. Auch das Radio mit meiner geliebten Musik war verhext: Kein einziges Lied wurde zu Ende gespielt, alle paar Sekunden unterbrachen Raketenalarme aus dem Süden des Landes die Melodien. Aus der beruhigenden Beschäftigungstherapie wurde ein höchst ärgerlicher, klebriger Kampf. Ich verfluchte die Nudeln, die neue Pastamaschine und das Radio und zu guter Letzt artete alles in einem Fiasko aus und der klebrige Teighaufen landete im Abfallkübel.

Erst gegen elf Uhr begann ich aufgrund der Nachrichten und Whatsapp-Meldungen zu ahnen, dass nicht nur in meiner Küche etwas nicht so lief wie es sollte. Gegen Mittag fuhr Eyal höchst besorgt nach Tel-Aviv, um die dort wohnenden Kinder zu uns zu holen.

Unterdessen sind dieser Morgen und die darauffolgenden Tage Geschichte.


Im "7 October Parliamentary Commission Report" wird in den ersten Kapiteln der Ablauf der Angriffe auf die Kibbutzim an der Grenze zum Gazastreifen minutiös beschrieben. Wenn ich heute an diesen Morgen denke, bin ich absolut schockiert darüber, wie ahnunglos (aber vielleicht doch mit irgendeiner unerklärlichen Tiefensensibilität) ich damals in meiner Küche werkelte, während fast im ganzen Land alle Alarmsirenen schrillten und viele Menschen, vor allem junge, verzweifelte letzte Meldungen an ihre Angehörigen schickten. Der Bericht führt aus, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene gejagt und kaltblütig niedergestreckt wurden, aber er erzählt auch von vielen haarsträubenden Heldentaten und dokumentiert ausführlich, wie Menschen ohne zu zögern, mutig und selbstlos um die Leben ihrer Familien, von Mitbewohnern und sogar von Unbekannten kämpften. Sagit Levi Gelfarb, die Verantwortliche für Notfälle im Kibbutz Erez, sagt heute darüber: "Es waren 30 Stunden Hölle auf Erden, die nun in Geschichten erzählt werden. Und jede kleinste Geschichte innerhalb der Geschichten ist eine Welt voller Angst, Fügung und Schmerz."


Meine Pastamaschine ist natürlich auf ewig verflucht. Ich habe sie ab und zu gebraucht seit jenem Morgen, jedoch nie ohne daran zu denken, was anderswo vielleicht gerade geschieht, während wir uns nichtsahnend mit etwas ganz anderem beschäftigen.



Mittwoch, 2. April 2025

Eine neue alte Welt




Einige Gedanken und Fakten über Musik in meinem Leben:

Als ich ein Kind war, wurden in meiner siebenköpfigen Familie folgende Instrumente gespielt: Orgel, Klavier, Cembalo, Quer-, Sopran- und Altflöte, Saxophon, Klarinette und Geige. Habe ich etwas vergessen?

Ich selbst spielte einige Jahre Geige, mochte es aber nie. Am Tag, an dem meine Eltern mir erlaubten, mit dem Musizieren aufzuhören, verschwand die Geige aus meinem Leben.

Das Schicksal, die Natur, oder Gott - wer immer dafür verantwortlich ist - hat mir viele Talente in den Schoss gelegt. Ein musikalisches Gehör oder Musizieren scheinen nicht dazuzugehören.

Mein Vater spielte Flöte, Klavier und Orgel, er sang und war Dirigent (in Vergangenheitsform, weil er nicht mehr musiziert).

Meine Mutter erzählt, dass sie als Kind einmal etwas Sackgeld in eine Flötenstunde investierte. Als mein Grossvater davon erfuhr, bestrafte er sie für die unverantwortliche Zeit- und Geldverschwendung mit einer Ohrfeige.

Einige Jahre diente mein Vater in der Kirche unseres Dorfes als Organist. Wir Kinder durften manchmal die Messe auf der Empore verbringen. Dort staunten wir über die Orgelpfeifen in allen Grössen, die unendlich vielen Schalter, Hebel und Knöpfe der Orgel, die Fusspedale, Vaters Orgelfinken und den Rückspiegel, über den er mit dem Pfarrer kommunizierte. Ein Organist setzt zum Betreiben der Orgel den gesamten Körper ein und das Musizieren erfordert fast übernatürliche Koordination aller vier Extremitäten, die alle eine (oder sogar mehrere) Aufgaben haben. Mein Vater konnte zusätzlich dazu noch mit einem Auge uns Kinder überwachen.

In den Geigenstunden verlangte meine Lehrerin, dass ich meine Fingernägel mit einer riesigen Schere kürze, wenn sie zu lange waren. Es ist heute nicht mehr nachweisbar, aber in meiner traumatischen Erinnerung ist die Schere auch noch rostig.

Vor etwa einem Jahr habe ich beschlossen, meine musikalische "Karriere" wieder aufzunehmen und mir selbst das Flötespielen beizubringen. Unterdessen spiele ich schon ein ganz passables Sammelsurium an Liedern, zum Beispiel "Hatikva" (die israelische Nationalhymne), "Maos Zur", "Det äne am Bärgli", "Stille Nacht" und weitere.

Als ich vor einiger Zeit beschloss, mein neues Hobby zu vertiefen und Flötenunterricht zu nehmen, war die erste Stunde aufgrund eines sehr peinlichen Missverständnisses nach wenigen Sekunden schon zu Ende. Es stellte sich nämlich heraus, dass das hebräische "Chalil" (=Flöte) eher für Querflöte verwendet wird, während die Sopranflöte "Chalilit" (=Verkleinerungsform von Flöte) genannt wird. Die Querflötenlehrerin machte grosse Augen, als ich meine Sopranflöte auspackte. Dann lachten wir beide und grüssten uns freundlich auf Nimmerwiedersehen. Sprachschnitzer sind leider auch nach bald vierzig Jahren in Israel noch möglich.

Diese Woche bin ich dann doch noch in den Genuss einer ersten Unterrichtsstunde bei einer Sopranflötenlehrerin gekommen. Sie scheint keine Schere zu haben und hat mich auch sonst nicht geplagt. Im Gegenteil, der Unterricht hat mir Spass gemacht. Ich habe das Gefühl, ein Tor zu einer vollkommen neuen Welt aufgestossen zu haben und ich bin sehr neugierig, sie zu erkunden.