Donnerstag, 27. Juni 2024

Träume und Ernüchterung



Wieder ist eine Woche Aufenthalt in der Schweiz zu Ende gegangen. Die Flugpassagiere von vielfältigster Herkunft auf dem Flug von Basel nach Tel-Aviv reflektieren Israels gemischte Bevölkerung. Aus Gesprächen erfahre ich, dass der Flug für eine geführte Reise mit Zielpublikum aus Israels Norden gechartert wurde. Der Grossteil der Reisenden besteht aus Drusen, einige sind arabisch-muslimisch, andere wiederum säkulare Israelis in allen Farbschattierungen.

Menschen mit allen möglichen kulturellen und religiösen Hintergründen, von Mittelost über Nordafrika bis Osteuropa, von säkular bis religiös-jüdisch und arabisch-muslimisch sind im israelischen Alltag der Normalfall. Die kulturelle und religiöse Vielfalt ist sogar ausgesprochen extrem. Die israelische Bevölkerung geht jedoch sehr unkompliziert mit dieser Vielfalt um, unter anderem weil die Israelis schon spätestens ab dem Kindergartenalter damit aufwachsen. Natürlich gibt es Rassisten jeder Art. Vor allem jetzt, aufgrund der Verbitterung, die der Konflikt und die Gewalt mit sich bringen, ist das Misstrauen gegenüber Menschen mit anderem kulturellen und religiösen Hintergrund bei jedem einzelnen von uns noch um einiges verstärkt. Doch Israelis machen ihren Gefühlen auf für europäische Gepflogenheiten fast unverschämte Weise Luft. Sie verstecken Rassismus nicht hinter Höflichkeit, Multikulti-Stolz oder demonstrativer Toleranz. Wenn nötig verflucht man sich gegenseitig, dann rauft man sich wieder zusammen. Vielleicht gerade, weil der Rassismus in Israel offener und unverschämter auftritt, hat er paradoxerweise oft weniger Einfluss. Schweizer, Deutsche und Österreicher hingegen rühmen sich oft gerne ihrer Toleranz und klopfen sich für eventuelle Beziehungen zu Andersfarbigen stolz auf die Schulter. Gerade deswegen sind Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe in diesen Ländern zwar wohlmeinendem - aber doch Rassismus ausgesetzt. Während man im deutschen Sprachraum Skepsis, Misstrauen und oft fast schon absurde Obsession mit Hautfarben hinter höflichen Floskeln oder unangebrachter Bevorteilung versteckt, lässt man in Israel einfach öfter Luft ab. Wenn dann alle Klartext geredet haben und jedermann weiss, was läuft, bewältigt man wieder den Alltag in wahrem Miteinander.


Auch in anderen Belangen sind Israelis unkompliziert: Auf der Heimreise, kaum gelandet in Tel-Aviv, werde ich im Zug in eine angeregte Unterhaltung mit einigen Mitreisenden verwickelt. In sekundenschnelle ergibt sich ein Gespräch, die Themen machen sich selbständig und wir finden uns in einer fröhlichen Diskussion zur Frage "Was würde ich tun, wenn ich drei Millionen Dollar zur Verfügung hätte". Zwei jüngere Männer würden eine Eigentumswohnung kaufen (der Wohnungsmarkt in Israel ist unvorteilhaft und überteuert) und schnelle Autos, wenn noch etwas übrigbliebe. Der eine möchte dann den Rest seines Lebens an Poolparties verbringen (das könnte mit den drei Millionen etwas knapp werden). Der dritte, etwas älter, möchte die israelische Bahn aufkaufen und endlich einmal das ganze Konzept und das Angebot gehörig verbessern. Und ich? Eine tolle Penthouse-Wohnung in Tel-Aviv? Wir fantasieren lachend und lautstark, als wären wir bestens vertraute Freunde. Nach kurzer Fahrt steigen in Tel-Aviv Hagana alle Beteiligten aus, gehen gutgelaunt und schmunzelnd über die lustige Zusammenkunft ihrer Wege und nehmen ihre Träume mit.

Ich liebe dieses Land und die Israelis, trotz dem ewigen "Balagan", Kakerlaken, tropischer Hitze und Krieg. Aber zuhause logge ich mich noch am Tag der Ankunft in die Webseite von El Al ein und suche Flüge für die ganze Familie, als Fluchtvorbereitung für den sich im Norden zusammenbrauenden Krieg.