Auf diesem Blog geht es meist leicht bis seicht und manchmal lustig zu. Die nachstehenden Zeilen sind etwas weniger unterhaltsam. Bitte lesen Sie aber deswegen nicht weg. Es liegt mir am Herzen.
Man sollte sich als Israeli wirklich einen Deut um die Presse in Europa scheren. Der weitverbreitete und stillschweigend allgemein gängig gewordene Anti-Israelische Ton bereitet nichts als Ärger. Fast jedes Stückchen Information, jeder Artikel, jeder Leserbrief ist für mich so entmutigend und niederschmetternd wie eine Ohrfeige vor einem Publikum, in welchem keiner sich rührt. Leider haben viele europäische Medienkonsumenten gar keine Ahnung, mit welchen Zerrbildern oder Lügen sie abgefüttert werden. Ich weiss das alles – und tappe doch immer wieder in dieselbe Falle.
Über Facebook gerate ich an ein kurzes, trendiges und spassig aufgemachtes Video von Galileo, dem Wissensmagazin des Privatsenders ProSieben. Zehn Fragen an einen Palästinenser. In knapp zehn Minuten werden dem palästinensischen Kaffeebesitzer Nidal in Berlin zehn Fragen gestellt. Von einem Wissensmagazin erwarte ich objektive Berichterstattung, deshalb mache ich mich guter Hoffnung daran, mich weiterzubilden. Umso unverfrorener werden mir umgehend Lügen, Unterlassungen und Ungereimtheiten um die Ohren geschlagen. Zunehmend verärgert und schockiert höre ich mir trotzdem alle zehn Fragen und Antworten an. Ach, ich weiss – das Video, das wichtige Informationen einfach weglässt und den Palästinenser unverschämt in die Kamera lügen lässt, ist nur ein verschwindend kleines Tröpfchen in einem Meer von verzerrten Berichten und Falschinformationen – und doch lässt es mir nun keine Ruhe.
Bei der zweiten Frage „Was ist so wichtig an Jerusalem?“ wird von der Moderation folgende simplifizierte Hintergrundinformation eingeblendet, untermalt von einer geografischen Skizze: „Bei der Gründung Israels 1948 wird Israel geteilt, ins israelische Westjerusalem und ins arabische Ostjerusalem, das Israel 1967 annektiert“. Auf der eingeblendeten Karte wird zur Versinnbildlichung grafisch aufgezeigt, wie sich Israel in den arabischen Teil Jerusalems ausweitet und sich diesen 1967 skrupellos einverleibt.
Der Satz lässt nicht viele Interpretationen offen, er stellt als unanfechtbare Tatsache dar, dass sich Israel 1967 das arabische Ostjerusalem aneignet und das ist – so ist jedermann klar – eine niederträchtige Aktion. Schliesslich hat das palästinensische Volk auch Recht auf ein bisschen Land, nicht wahr?
Aber – wohin sind eigentlich in der Erklärung die Jahre 1948 bis 1967 verschwunden? Warum wird mit keinem Wort erwähnt, wie es genau zum arabischen Ostjerusalem gekommen und was dort in den Jahren bis zum Sechstagekrieg passiert ist?
Fakt ist: Der ursprüngliche UN-Teilungsplan beinhaltete die Beendigung des britischen Mandats über Palästina und sah eine Zwei-Staaten-Lösung vor: Einen Staat für Juden und einen für Araber, wobei Jerusalem unter internationale Kontrolle gestellt werden sollte. Die Araber waren damit NICHT einverstanden und sechs arabische Staaten griffen den soeben ausgerufenen jungen Staat Israel an. Nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 besetzte Jordanien Jerusalem bis 1967. (Hier muss noch angefügt werden, dass die arabische Bevölkerung Jordaniens zu etwa 60% aus Arabern palästinensischer Abstammung besteht, dass also Jordanien eigentlich ein palästinensischer Staat ist.)
In den 19 Jahren jordanischer Besetzung Jerusalems wurde Juden der Zugang zu allen jüdischen religiösen Stätten verboten, sie wurden aus der Stadt vertrieben oder in Gefängnisse gesperrt. Synagogen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört und alle Nichtmuslime – auch Christen – wurden absichtlich und hartnäckig verfolgt und diskriminiert. Nach der Vertreibung der jüdischen Bewohner der Altstadt erlaubte Jordanien arabischen muslimischen Flüchtlingen, sich im verlassenen jüdischen Viertel Jerusalems niederzulassen. Mehr dazu hier.
Soviel zu den 19 Jahren, die im schnittigen Galileo-Video einfach weggelassen werden. Mehr muss man dazu nicht sagen. Mir stehen von dieser stillschweigenden Weglassung die Haare zu Berge.
Seitdem Israel im Sechstagekrieg 1967 die Jerusalemer Altstadt von der jordanischen Besetzung befreite und Jerusalem zu Gross-Israel gehört, werden die muslimischen Heiligen Stätten vom Waqf, einer islamischen Stiftung, verwaltet und die Benutzung dieser Stätten ist für jüdische Gebete (weiterhin) verboten. Aber sonst können die Muslime, die verschiedenen christlichen Gruppierungen und alle religiösen Minderheiten (Tscherkessen, Drusen, usw.) ihre Religionen in der Jerusalemer Altstadt ohne Einschränkungen ausüben.
Dadurch, dass diese – und viele weitere wichtige Informationen – in dem Video weggelassen und verzerrt oder falsch dargestellt werden, entsteht einmal mehr der Eindruck, dass Israel der böse Aggressor und die Palästinenser die eigentlich friedliebenden armen Opfer sind.
Ich weiss, viele Menschen in Europa haben die Antisemitismus-Keule satt. Dabei schreit es zum Himmel, wie sehr die Lügen, Unterlassungen und Falschinformationen in den europäischen Medien der antijüdischen Propaganda ab 1933 ähnlich sind – in neuer, moderner, abgewandelter und der Zeit angepassten Form. Schon Goebbels soll ja gesagt haben: „Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates. Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben.“
Liebe Leser, wenn Sie wirklich Interesse an den Hintergründen des Nahostkonflikts haben und sich eine Meinung bilden möchten, besuchen Sie Israel, besuchen Sie auch die palästinensischen Gebiete, meinetwegen den Gazastreifen. Sprechen Sie mit ortsansässisgen Menschen, lesen Sie israelische und arabische Zeitungen. Informieren Sie sich über die historischen Begebenheiten. Wenn all das nicht im Bereiche ihrer Möglichkeiten liegt, suchen Sie sich bitte ein anderes Interessengebiet. Spielen Sie Golf, lernen Sie Stricken. Aber konsumieren Sie um Himmels willen keine europäischen Medien zum Thema Nahostkonflikt!
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
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2 Kommentare:
Es ist wirklich fast nicht auszuhalten und man weiss gar nicht, wo man anfangen soll mit dem Aufräumen in dem ganzen Lügenwald. Leider wollen sich viele aber gar nicht informieren, obwohl sie zugeben "So genau weiss ich jetzt eigentlich gar nicht, es ist ja SO kompliziert. Aber ...", und dann kommt das gängige Israel Bashing.
Du hast es auf den Punkt gebracht: Wem es zu mühsam ist, sich WIRKLICH mit der Materie zu befassen, der oder die soll es GANZ bleiben lassen. Vielen Dank für deine klaren Worte.
Danke, liebe Schreibschaukel!
Und ich sollte es GANZ bleiben lassen, Deutsche und Schweizer Zeitungen zu lesen!
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