Mit dem schweizerischen Volkssport Wandern haben die meisten Israelis nicht viel am Hut. Sie können nur schwer nachvollziehen, warum man Berge hoch- und hinunterkraxeln oder scheinbar sinn- und ziellos durch die Gegend marschieren soll, wenn man doch die Natur viel gemütlicher beim stundenlangen Grillen mit Freunden, in einem Geländefahrzeug oder allerhöchstens beim Spazierengehen geniessen kann. Wandern ist den meisten Israelis zu anstrengend, zu unspektakulär, zu bescheiden, zu unauffällig. Ausserdem ist es zum Wandern an mindestens acht Monaten im Jahr einfach zu heiss.
Dabei hat Israel im nördlichen Teil des Landes oder in der Negevwüste im Süden naturliebenden Aktivmenschen unheimlich viel zu bieten. Aber auf den Pfaden der vielen Naturparks tummeln sich meist nur Frauen in unpassenden Schuhen, Kinder in Flipflops und Männer, die noch immer von den immensen Märschen erschöpft sind, die sie während ihrem dreijährigen Militärdienst bewältigen mussten
– auch wenn dieser schon zwanzig Jahre zurückliegt.
Israel ist ein kleines Land und die meisten Parks, Flüsse und Wäldchen sind mir dank zahlreichen Kindergarten- und Klassenreisen und später mit anderen Familien gemeinsam organisierten Ausflügen bekannt. Diese Exkursionen bestanden meist aus kurzen gemütlichen Spaziergängen und ausgiebigen Rastpausen, wobei man die Bedürfnisse der Kinder als Grund vorschob. Später folgten einige private und selbst organisierte Wanderungen, die ganz interessant aber eben nicht genug herausfordernd waren.
Ich persönlich bin, was sportliche Aktivitäten anbelangt, ein ziemlich ungeduldiges Wesen. Ich habe keine Geduld für Gefasel oder Herumsteherei. Deshalb schwor ich mir vor einigen Jahren, als ich zunehmend verärgert auf einem schmalen Pfädchen an einem lauschigen Bach zwischen einigen Dutzend Flanierern Schlange stehen musste, hiermit mit Gruppenwanderungen in Israel ein für allemal abgeschlossen zu haben. Ich fasste diesen Entschluss mit grosser Reue, denn ich bin gerne aktiv, ich liebe die Natur und beides zu verbinden scheint mir ein sehr befriedigender Zeitvertreib, vor allem jetzt, da ich keine kleinen Kinder mehr im Schlepptau habe.
Nach einer längeren Wanderabstinenzphase habe ich nun aber endlich wieder Hoffnung: ich habe einen Wanderleiter aufgespürt, der genau die vielversprechenden, herausfordernden Treks anbietet, von denen ich träume. Und, oh Wunder, der wanderfreudige israelische Abenteurer hat zur Hälfte Schweizer Wurzeln, muss also das Wandern in den Genen haben! Flugs habe ich uns also für zwei mehrtägige Wanderungen angemeldet, die nichts für Weicheier sind. Um mich anzumelden musste ich ein längeres Formular ausfüllen, auf welchem ich unter anderem darzulegen hatte, wie es um unsere körperliche Fitness steht. Leider erwies es sich am Anfang als etwas schwierig, nähere Angaben zu den geplanten Wanderungen in Erfahrung zu bringen. Die einzigen Informationen, die mir der Wanderleiter vor der Anmeldefrist schickte, waren Meldungen im Sinne von „Bin gerade am Everest-Abstieg, melde mich wenn unten“ oder „Befinde mich im Kaukasus, keine Verbindung“ und so weiter. Bis ich also in Erfahrung bringen konnte, dass für den ersten geplanten Trek zwei mehrstündige intensive Wanderungen mit Übernachtung im Schlafsack unter freiem Himmel in der Negevwüste auf dem Programm stehen, waren wir schon angemeldet.
Zum Zeitpunkt der Anmeldung noch recht mutig, schwand mein Unternehmungsgeist mit jeder SMS und Whatsapp-Meldung von J. aus dem Himalajagebirge, aus Tadschekistan und aus der Mongolei. Bin ich wirklich ausreichend fit und technisch bewandert, um bei so einem Unternehmen mitzuhalten? Ganz zu schweigen von meinem israelischen Gatten, für den trotz unzähliger gemeinsam verbrachten Jahren Wandern so unverständlich geblieben ist, wie Fondue für Chinesen. Bestimmt hatte der Gute beim Unterschreiben unseres Hochzeitsvertrages vor bald drei Jahrzehnten nicht die geringste Ahnung, dass dieser Wisch nicht nur ein Freibrief für lebenslangen Genuss von Schweizer Schokolade war, sondern dass er sich mit seiner Unterschrift soeben verpflichtet hatte, mit mir in ferner Zukunft auf Berge zu kraxeln. Aber eben: Mitgegangen, mitgehangen! Für den Trek wurde er mit angemeldet. Punkt. Dabei verbrachte ER ja nicht nur die obligatorischen drei, sondern sogar vier Jahre im Militärdienst und ist somit bis heute sehr marschmüde.
Nun sehen wir Beide dem nächsten Wochenende also mit recht mulmigem Gefühl entgegen, besorgen aber unterdessen die notwendige Wanderausrüstung: Schuhe, Schlafsäcke, Campingmatten, Rucksäcke, Stirnlampen, Powerfood, Picknickgeschirr und so weiter. Nun bin ich sogar stolze Inhaberin von einem Paar Wanderstöcken und mehr oder weniger bereit für das Abenteuer. Nur eine Frage beschäftigt mich noch etwas: wo befinden sich eigentlich bei einer zweitätigen Expedition fern der Zivilisation die Toiletten?