Der furchtbare Ausnahmezustand ist Alltag geworden. Katastrophen passieren einfach so nebenbei. Das Sirenengeheul, die Raketenangriffe, die Attentate, die Verschleppten, die Überlebenden, die Gefallenen, die zerstörten Familien, die Beerdigungen, die Binnenflüchtlinge, die leerstehenden, zerfallenden Dörfer und Städte, die abgebrannten Wälder und Haine, die Traumas - sie sind zu den Rahmenbedingungen geworden, zwischen denen sich Arbeit und wenige private Vergnügen abspielen. Es ist erschreckend, an welche Umstände man sich gewöhnen kann, wenn man nur die Gedanken daran geflissentlichst verdrängt. Viele Familien bezahlen jedoch einen unerträglich hohen Preis in diesem Krieg ohne absehbare Wendung. Wer weniger direkt betroffen ist, verdrängt. Dass auch wir, die Privilegierten hier in Israels Zentrum, alle paar Tage in den Schutzraum rennen müssen, gehört unterdessen zu unserem Alltag wie der Verlauf der Wochentage. Die Alarme bescheren einige Minuten Aufregung, dann atmen wir kurz durch und machen weiter. An einem Morgen überrascht mich der Alarm, als ich an der Arbeit gerade aus der Dusche steige. Nur mit einem Frottiertuch bedeckt, ziehe ich es vor, einfach im Umkleideraum auszuharren, anstatt mich in den gemeinsamen Schutzraum zu begeben. Dass das gefährlich sein kann, wissen wir unterdessen. Die Hisbollah zielt absichtlich auf zivile Einrichtungen und immer wieder werden Menschen durch die Raketen oder herabfallende Trümmer verletzt oder getötet. Auch der Sonntag beginnt diese Woche mit Raketenalarm und bis zum Abend wird er zu einem Rekordtag mit über 250 Raketenangriffen aus dem Libanon. Trotz aller Abwehrsysteme werden acht Menschen verletzt. Während wir im Schutzraum sitzen, bebt das Haus und die Fenster zittern, als würde alles gleich in sich zusammenbrechen. An diesem Sonntag fallen auch Bruchstücke einer Rakete auf eine Strasse in meiner unmittelbaren Nachbarschaft.
Wir versuchen durchzuhalten. Was das bedeutet, beschreibt meine Bloggerkollegin Schreibschaukel, die sich nicht beirren lässt und sich aus der Schweiz unermüdlich für Israel einsetzt.
Durchhalten klappt jedoch schlecht und recht, nur wenn man sich gezielt beschäftigt, die Gedanken nicht zulässt und das Unbehagen bewusst unterdrückt. Gedanken an die in den - in der kalten und regenreichen Jahreszeit nasskalten - Tunnels in Gaza festgehaltenen Verschleppten schiebe ich schnell weg, sobald sie aufkommen. Die täglich fallenden Soldaten mag ich nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Sie werden für mich zu einer schmerzlichen Masse von auf tragische Weise abrupt beendeten schönen jungen Leben.
Das Schlimmste ist jedoch, dass die ganze Welt um uns herum vollkommen aus den Fugen geraten zu sein scheint. Skandalöse mediale Desinformation und willkürlich verbreitete Lügen haben dazu geführt, dass der Hass auf Israel und auf Juden rund um den Globus wieder salonfähig ist. Überall werden Juden gejagt, verfolgt, ausgeschlossen, diffamiert, beschuldigt. Falsche Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien schüren Misstrauen und Hass und schaffen ein Klima der Diskriminierung und Gewalt. Antisemitische Straftaten sind an der Tagesordnung, jüdische Gemeinschaften fühlen sich bedroht und jüdische Menschen leben auf der ganzen Welt, einmal mehr, auf gepackten Koffern.
Doch es ist nicht einmal "nur" der Antisemitismus. Die Welt steht kopf, in allen Bereichen. Wie zutreffend, dass wir in diesen Zeiten unsere letzten Hoffnungen auf einen verrückten orangefarbenen Mann setzen!
Wie der orangefarbene Mann aber vielleicht tatsächlich nicht nur Amerika, sondern auch die Welt neu gestalten könnte, das schreibt Douglas Murray in zehn Punkten in seinem Artikel in der New York Post. Hier ein übersetzter Auszug aus dem zehnten und abschließenden Punkt:
"Das bringt mich zu dem wichtigsten Punkt, den Trump im Nahen Osten tun kann. Jetzt ist es an der Zeit, die Sanktionen wieder in Kraft zu setzen. Der Iran hat im vergangenen Jahr erlebt, wie seine Terror-Stellvertreter durch das israelische Militär und den israelischen Geheimdienst lahmgelegt wurden. Jetzt ist es an der Zeit, der Schlange den Kopf abzuschlagen. Wer weiß, vielleicht wird das schmutzige, barbarische islamische Regime in Teheran endlich fallen und das iranische Volk kann endlich sein Land zurückbekommen. Wenn dem so ist, kann Trump vielleicht bis zum Ende seiner nächsten Amtszeit den Iran in das Abraham-Abkommen aufnehmen. Das wäre etwas, das sogar das Nobelkomitee bemerken müsste."
Ich gebe zu, diese Vorstellung ist etwas zu schön, um wahr zu sein. Doch was bleibt uns anderes als die Hoffnung?
Wenn der Ausnahmezustand Alltag wird, kann man auch Ausflüge unternehmen. Am Wochenende in der Umgebung Jerusalems. |
Dem Alltag entfliehe ich unter anderem mit Lesen. Das Buch, das ich zur Zeit verschlinge, beschreibt zwar ebenfalls das schwierige Leben verzweifelter und bedrängter Menschen in beschwerlichen Zeiten, aber es ist eines der wenigen, das es schafft, mich vom endlosen Scrollen auf dem Handy fern zu halten.
Meine Schwiegermutter ist in Bagdad geboren. Obwohl sie nur elf Jahre ihrer Kindheit vor der Flucht mit der Familie im Irak verbracht hat, ist die Kultur, mit der sie aufgewachsen ist und die ihre Eltern nach Israel gebracht haben, tief in ihr verwurzelt. Ich habe von ihr und ihren zahlreichen Geschwistern viel über die Jahre ihrer Kindheit in dieser für mich völlig fremden Welt gehört. Als mir das Buch "Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom" von Mona Yahia unter die Finger kam, war meine Neugierde sofort geweckt. Würde es mir diese unerreichbare und unvorstellbare Stadt näherbringen? Jetzt bin ich erst zwei Drittel durch und ich bin begeistert. Die Handlung ist fesselnd und Mona Yahia hat eine wunderbare Gabe, Situationen überwältigend realitätsnah zu beschreiben.
"Ein Militärjeep hält vor unserem Haus. Eine Fliegenklatsche stoppt mitten in der Bewegung. Ein Satz vergisst sein Ende. Ein ungeknackter Kürbiskern liegt zwischen zwei Schneidezähnen. Zwei Soldaten springen aus dem Jeep. Vater sitzt wie gelähmt auf seinem Stuhl. Mutter fleht zu Gott. Ich nehme Curry (die Katze) auf den Schoss. Die Soldaten gehen zum Kühler ihres Autos, heben die Haube und inspizieren den Motor...."
Wer geglaubt hat, die irakischen Juden wären vielleicht der schönen Mittelmeerstrände wegen nach Israel gekommen, für den ist diese Lektüre Pflicht. Doch auch etwas informierteren Lesern empfehle ich das Buch wärmstens.