Freitag, 3. Oktober 2025

Die Kindertränen-Show

Ich habe mir in diesen Tagen die ZDF-Diskussionssendung von Martin Lanz vom 30. September über den Krieg in Israel und Gaza und den neuen „20-Punkte-Plan“ angesehen. Schade, dass ich nicht zu der Diskussion eingeladen war. Ich hätte sehr Grundlegendes beitragen können.

Immerhin, die souveräne Melody Sucharewicz liess sich von den drei voreingenommenen Diskussionspartnern nicht kleinkriegen. Sie stellte mit Nachdruck anti-israelische Positionen infrage und wies ihre Kontrahenten mit schlagkräftigen Beispielen und pointierten Argumenten in die Schranken. Auf einer ganz anderen Ebene fand ich auch ihre gewaltige blonde Lockenpracht hinreissend.
Wer hingegen das anti-israelische Narrativ bedient, fand vermutlich Daniel Gerlach, Chefredakteur des Nahost-Magazins „zenith“ überzeugend.
Ebenfalls auf dem Podium war Katrin Glatz-Brubakk, eine Kinderpsychologin von Ärzte ohne Grenzen. Sie berichtete eindringlich von ihrer Arbeit im Gazastreifen, von den fast unmöglichen Bedingungen der humanitären Hilfe und von zutiefst erschütternden Schicksalen verletzter und traumatisierter Kinder. Bilder von einigen der Kinder wurden gross im Hintergrund eingeblendet. Das kann keinen kalt lassen. Das Engagement von Frau Glatz-Brubakk ist zweifellos bewundernswert. Unter grossem persönlichen Risiko gibt sie ihren Mitmenschen und ihrem eigenen Leben Sinn. Ich nehme an, dass sie auch politische Meinungen hat, in dieser Talkshow sprach sie aber nicht darüber.

Dass es für Kinderpsychologen auch in Israel viel Arbeit gäbe, ist ein anderes Thema. Mit den am 7. Oktober ermordeten Kindern könnte zwar auch Glatz-Brubakk nicht mehr arbeiten, aber mit den Traumatisierten schon. Wo sind die Ärzte ohne Grenzen für die Kinder von Sabine Taasse, für Avigail, Michael und Amalia aus Kfar Aza, für Ariel aus Nir Oz, um nur einige Beispiele zu nennen? Wo bleibt die internationale Unterstützung für die Hunderttausenden israelischer Kinder, deren Alltag von nächtlichen Fluchten in Schutzräume geprägt ist?

Aber das interessiert in Europa keinen. In Israel wächst schliesslich das Geld auf den Bäumen und demzufolge können sich die Israelis um sich selbst kümmern. Ausserdem haben sie den Iron Dome, das Abwehrsystem – das dort auch vom Himmel zu fallen scheint. 
Ob nun diese oder jene Argumente Propaganda sind, diese oder jene angeführten Beispiele der Wahrheit entsprechen – darum sollte es jedoch gar nicht gehen. Der ganze Diskurs verläuft in eine komplett falsche Richtung. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres.

Warum wird dem Leid der Kinder so viel Raum gegeben? Diskutiert man etwa darüber, ob der Krieg schrecklich sei oder nicht? Wissen wir das nicht schon? Oder geht es einfach nur darum, Israel als Sündenbock herbeizuziehen?
Aber vor allem wird in deutschen Medien einmal mehr vermittelt:

Krieg muss um jeden Preis verhindert werden.

Krieg ist das grösste moralische Tabu dieser Gesellschaft. Ein Reflex, der angesichts des kollektiven Traumas des Zweiten Weltkrieges nachvollziehbar ist. Doch genau darauf sollte der mediale Fokus in Deutschland gerichtet werden.

Der Zweite Weltkrieg endete nicht durch Friedensappelle, sondern durch massive militärische Gewalt. Ganze deutsche Städte wurden ausgebombt. Das war brutal und schrecklich – doch ohne dieses Eingreifen wäre der systematische Völkermord nicht gestoppt worden. Die Befreiung von Konzentrationslagern wäre ausgeblieben oder sehr viel später erfolgt. Millionen weitere Opfer wären die Folge gewesen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs durch massive Gewalt führte zu einer klaren Zäsur in der Weltgeschichte. Wäre es nicht dazu gekommen, hätten wir möglicherweise kein klares Ende erlebt, sondern ein Fortbestehen der faschistischen Diktaturen, eine Ausweitung der Gewalt gegen Zivilisten und womöglich noch zerstörerischere Konflikte in den Jahrzehnten danach.


Das sind Spekulationen. Sicher ist: Hätte es 1944 schon Talkshows gegeben, hätten sich Kinderpsychologen über die fürchterlichen Schicksale der Kinder in den Trümmern in Ekstase reden können. Und Herr Lanz hätte den Diskussionsteilnehmer der alliierten Streitkräfte gefragt „Zum Begriff der Verhältnismässigkeit – können sie damit etwas anfangen?“

Worüber wir wirklich sprechen sollten: Krieg ist schrecklich. Doch ihn nicht zu führen, ist leider nicht immer eine Option. Zerstörerische Ideologien haben in den letzten Jahren, ohne dass jemand etwas dagegen unternommen hätte, immense militärische Kapazitäten aufgebaut. Sie sind zu einer echten globalen Bedrohung geworden. Das nicht wahrhaben, ist fatale Ignoranz.
Wenn eine Seite kompromisslos kriegerische Absichten hat und die andere Seite jeden Konflikt um jeden Preis vermeiden will, ist das Ergebnis absehbar. Deshalb wäre es ehrlicher, weniger über Einzelschicksale zu reden – so erschütternd sie sind – und stattdessen mehr über die Konsequenzen des Nicht-Handelns und über die Verantwortung, die sich daraus ergibt. Das Beweinen der Kinder in Gaza, ohne den wirklichen Elefanten im Raum anzusprechen, hilft niemandem, am allerwenigsten den Kindern in Gaza.


Noch etwas fürs Auge: das Nabi-Jusha Gebiet in Obergaliläa








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