Montag, 30. Oktober 2023

Tut mir leid Fatima

Dieser Tag beginnt mit der Meldung, dass die deutsch-israelische 22-jährige Shani Louk offenbar tot  ist. In einem Video posierten am 7. Oktober die Hamas-Bestien über dem Körper der jungen Frau, sie lag bäuchlings halbnackt auf einem Pick-up und schien bewusstlos und schwer verwundet. Die Mutter sprach in der deutschen Presse ihre Hoffnung aus, dass ihre Tochter unter den Geiseln und am Leben sei. Jetzt bestätigten aufgefundene Leichenteile mit der DNA von Shani, dass sie offenbar von den Hamas-Terroristen nach grausamen Misshandlungen durch einen Kopfschuss getötet wurde.

* * *

Ich kann keine Kinder mehr ansehen, ohne an die von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln zu denken. Dreissig Kinder sind unter den 239 Geiseln. Einige von ihnen mussten sich ansehen, wie die Terroristen ihre Eltern ermordeten, dann wurden sie verschleppt. 
Ich betrachte meine Schwiegermutter beim Füttern ihrer neunmonatigen Urenkelin. Ella ist ein süsses Kind mit wachen, hellen Augen und rosigen Wangen, man möchte sie einfach nur knuddeln. 
Ich muss wegsehen. Die Gedanken an den etwas jüngeren Kfir – ein Baby, seit drei Wochen in Gefangenschaft der Hamas – schnüren mir die Luft ab. Füttert ihn auch jemand? Einer der Terroristen? Eine der anderen Geiseln? Und wer beruhigt ihn, wenn er weint? Lebt er überhaupt noch?

 
Kfir, eines von dreissig Kindern in Gefangenschaft der Hamas

* * *

Aber eigentlich will ich heute über das Leben einer jungen Frau in Israel schreiben, die so alt ist wie die brutal ermordete Shani Louk. Sie ist kein Kind mehr, aber sie ist mein Kind. Mit zweiundzwanzig kann das Leben auch in friedlichen Zeiten recht verwirrend sein, so habe ich das jedenfalls von mir selbst in Erinnerung, auch wenn ich damals noch in der sicheren Schweiz lebte. In Israel hat man in diesem Alter meistens gerade den Militärdienst abgeschlossen und alle Türen in die Zukunft stehen offen. Das kann überwältigend sein. Lianne verbrachte den Sommer nach ihrem zweijährigen Militärdienst in Kanada, wo sie als Leiterin in einem Sommercamp für Jugendliche arbeitete. Auf ein Studium wollte sie sich nach ihrer Rückkehr noch nicht festlegen. Zur Überbrückung fand sie bald eine temporäre Arbeit. Die Eltern des kleinen Lev, einem Erstklässler, der als Neueinwanderer noch kein Hebräisch spricht und auch abgesehen von der Sprachbarriere eher unaufmerksam zu sein scheint, suchten für einige Wochen eine persönliche Begleitung für ihren Sohn während den Unterrichtsstunden. Lianne freute sich sehr auf die Arbeit, die am 8. Oktober hätte beginnen sollen...

Aber am 7. Oktober änderte sich unser Leben komplett. Ein Meteor namens Hamas schlug ein und warf die Erde in einem unsäglichen Zivilisationsbruch aus ihrer gewohnten Bahn. Lianne’s junges Leben entgleiste in jeder Hinsicht. Anstatt sich schrittweise eine vielversprechende Zukunft aufzubauen, besuchte sie Beerdigungen von ermordeten Gleichaltrigen, von Freunden und Freundinnen aus der Schule und dem Militär. Selbst noch bis vor kurzem in Uniform, war es für sie besonders schockierend, dass junge Soldatinnen zu Dutzenden brutalst abgeschlachtet wurden, während sie schlafend auf ihren Pritschen lagen oder ihre Kontrollfunktion vor den Bildschirmen ausführten. Noch vor wenigen Monaten hätte Lianne an ihrer Stelle sein können. Ihre Freundin Shir, mit der sie im Militär ein Zimmer geteilt hatte, wurde tagelang vermisst, bis die traurige Gewissheit eintraf, dass sie an dem Musikfestival in der Negev-Wüste von den islamistischen Hamas-Terroristen ermordet worden war. Lianne zeigt mir die Fotos und Videos auf ihrem Handy, auf denen Shir, ein strahlendes Mädchen mit langen Locken, mit ihrem fröhlichen Temperament immer im Mittelpunkt steht. Ein weiterer Freund aus dem gemeinsamen Militärdienst befindet sich offensichtlich unter den Geiseln.

Das sind nun die Rahmenbedingungen im Leben meiner Tochter. Wir verbringen viele traurige Momente miteinander. Oft setze ich mich zu ihr und wir schweigen gemeinsam, mit einem grossen Kloss im Hals und Tränen in den Augen. Ich weiss nicht, wie ich sie stärken oder trösten soll. Mir fehlen nicht nur die Worte, sondern auch die Hoffnung. Ohne Arbeit, sich nutzlos fühlend, um ermordete Freunde trauernd, von Beerdigung zu Beerdigung eilend, im Wissen um eine Terrororganisation, die uns nach dem Leben trachtet und die kaum auszulöschen ist, im Wissen um erschreckend viele antisemitische Schreihälse weltweit, ohne Aussicht auf ein sicheres Leben, auf irgendeine absehbare Lösung in der Zukunft. So sieht ihr junges Leben seit dem 7. Oktober aus.

Drei Wochen nach dem Massaker nimmt die Schule ihres Erstklasse-Schützlings den Betrieb wieder auf – ein Hoffnungsschimmer! Das bedeutet endlich ein bisschen Normalität, auch wenn der Unterricht am frühen Morgen mit einer Raketenalarmübung beginnt. „Übung, Übung“, ertönt es aus dem Mikrofon, die Kinder und das Personal begeben sich in den Luftschutzraum. Erst danach fängt der reguläre Unterricht an. 

Kurz nach Mittag ertönen tatsächlich die Sirenen. Jetzt ist es ein Ernstfall! An Treibstoff für Raketen, die absichtlich auf israelische Zivilisten gerichtet werden, fehlt es anscheinend im Gazastreifen noch nicht. 
Die Kinder haben die morgendliche Übung schon längst vergessen und brechen ob dem markerschütternden Sirenengeheul in Panik aus. Aber das Lehrpersonal, darunter meine Lianne an ihrem ersten Arbeitstag, bleibt stark und besonnen. Sie nehmen die Kinder an den Händen und sprechen beruhigend auf sie ein, während sie sich in den Schutzraum drängen. Auch als sie nach Hause kommt, scheint Lianne völlig unaufgeregt. Aber ich weiss, dass sich das alles in ihr Bewusstsein brennt. Ich kann einfach nicht fassen, dass dies jetzt unser Alltag ist. Wie stark meine Kinder sind! Sie scheinen viel stärker zu sein, als ich selbst.

* * *

Dieser Tag endet mit der Meldung, dass die Geisel Ori Megidish (19) von der IDF während der Bodenoffensive aus den Fängen der Hamas befreit werden konnte und sich in Sicherheit bei ihrer Familie befindet. Das ist für viele von uns die erste erfreuliche Nachricht seit dem 7. Oktober. 
Tut mir leid, Fatima, in deiner ausgebombten Wohnung im Gazastreifen – über die ich heute einen Artikel im Stern.de gelesen habe, während ich vergeblich einen Bericht über die von der Hamas abgeschlachteten Israelis oder die Geiseln suchte – aber das war es wert!




Mittwoch, 25. Oktober 2023

Der grosse Knall



Ich bin keine grosse Militärstrategin, wie man sich denken kann. Von Kriegsführung verstehe ich rein gar nichts. In meiner Ahnungslosigkeit verbringe ich die Tage und Stunden seit dem 7. Oktober angespannt in Erwartung eines Urknalls, eines gigantischen Donnerschlags. Der Schock über das Geschehene, die Mobilmachung von mehreren Hunderttausend Reservisten, die Notvorrateinkäufe, das Instandstellen des Schutzraums, die Sirenen  das alles erzeugt eine immense Anspannung und die Erwartung einer gewaltigen Entladung. 

Die Ereignisse des 7. Oktobers haben mich geschlagen und gebeutelt in eine dunkle Ecke geschleudert. In dieser traurigen Ecke liegen mit mir all die Ermordeten, die Geschändeten, die Entführten, die gebrochenen Hinterlassenen, die verzweifelten Angehörigen. Diese Last ist kaum zu ertragen und in Erwartung des Feindes, der vielleicht noch kommen wird, um uns endgültig abzumetzeln, habe ich noch nicht einmal daran denken können, mich zu erheben. Ich befinde mich an einem toten Punkt. Schon 19 Tage verharre ich gelähmt in Erwartung des grossen Knalls, der jeden Tag eintreffen kann, sich bis jetzt aber immer nur weiter hinauszuzögern scheint.

Denn entgegen meiner Erwartungen auf den alles erschütternden Donnerschlag zeichnet sich eine klitzekleine Normalisierung ab. Wir befinden uns im Krieg, die Soldaten stehen an der Front, Hunderttausende sind evakuiert. Nun soll der Schulunterricht stundenweise wieder aufgenommen werden und unsere Geschäftsleitung tönt an, dass wir demnächst wieder tageweise ins Büro fahren sollen.

Es scheint, dass ich mich aus meiner Ecke werde aufrappeln müssen. Aber woher die Kraft und die Hoffnung dazu nehmen? Bilder, denen ich nicht entkommen konnte, verfolgen mich. Beschreibungen von Gräueltaten verfolgen mich. Nitzan und Lidor, Yoni, Sivan, Shir, Yuval, Omer, Peleg, die nicht mehr wiederkommen werden. Alon, der immer noch eingeschläfert ist und nicht weiss, dass er nie mehr ganz sein wird. An die Geiseln darf ich gar nicht denken. Ohad, ein neunjähriger Junge mit Brille, der gerne Schach spielt und ein Meister im Zauberwürfel ist, hatte diese Woche Geburtstag, in Gefangenschaft der Hamas in Gaza.

Ich weiss wirklich nicht, woher man jetzt die Kraft nehmen soll, aufzustehen, den Staub der Trümmer und das Blut der Toten abzuwischen und mit all diesem Schmerz einigermaßen das Leben in die Hände zu nehmen.

Im Versuch, mich auch zu normalisieren gehe ich laufen. Aber dann ertappe ich mich dabei, in Gedanken den kürzesten Fluchtweg zu suchen, für den Fall, dass über den Zaun am Dorfrand auf mich geschossen wird. Hier ist eine Böschung, da könnte ich hinunterrollen.

Irgend ein grosser Knall wird kommen müssen, ich weiss nicht auf welcher Ebene. Ein alles Vernichtender oder ein alles aufbauender Knall, vielleicht beides. Einfach so weiterzumachen, kann ich mir im Moment nicht vorstellen.



Meine Gefühle sind diffus und verwirrt. Yuval Noah Harari schafft es ein bisschen besser, logische Sätze zu bilden. Man kann sich über Yuval Noah Harari streiten, aber seine  differenzierten Gedankenanstösse finde ich bemerkenswert.

Sonntag, 22. Oktober 2023

Entkommen

Es ist vier Uhr morgens und ich schreibe, weil ich nicht schlafen kann. Mir geht es körperlich etwas besser, aber der Lärm von Kampfflugzeugen und Helikoptern bricht diese Nacht nicht ab und hält mich wach.

Meine anfängliche Schockstarre hat etwas nachgelassen. Die geringfügige Besserung meines Befindens steht aber in keinem Bezug zu der nach wie vor katastrophalen Situation im Land. Und weiterhin ist die Angst vor dem, was uns die nächsten Tage und Wochen bringen könnten, abgrundtief.

Die Identifizierung der Leichen ist noch immer im Gange. Das von den Hamas-Bestien angerichtete Gemetzel erschwert die Arbeit. Täglich treffen neue Namen ein, täglich werden Hoffnungen, Familien zerstört. Man sagt, dass es von etwa zwei Dutzend Toten keine identifizierbaren Überreste gibt. Nicht einmal eine Fingerkuppe, kein Restchen DNA.

 

Ich hoffe, dass die Welt da draussen von diesen Greueltaten weiss. Und dann wieder  –  was nützt es? Ich weiss nicht, was schlimmer ist, 1400 abgeschlachtete Menschen oder die Tatsache, dass die Hälfte der Menschheit die Täter unterstützt.


Am Freitagabend treffen wir uns mit unseren Freunden A und S und ihrem Sohn Yotam. Yotam war mit Freunden am Musikfestival in der Nähe des Gazastreifens. Er hat das Massaker durch ein grosses Wunder überlebt.

Als in den frühen Morgenstunden nach dem Festival die ersten Schüsse fielen, rannten Yotam, Tomer und Yoav sofort zu ihrem Auto. Viele der Festivalbesucher schafften es nicht zu den Autos und sie versuchten, zu Fuss die Flucht zu ergreifen. Andere wurden von den Sicherheitsleuten aufgefordert, sich in den „miguniot“ (kleine Betonschutzräume) zu verstecken. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Aber Yotam, Tomer und Yoav rasten im Kugelhagel davon. Den drei jungen Männern gelang es, im durchlöcherten Auto mit zerbrochenen Scheiben aus dem Gebiet des Massakers zu entkommen. Die drei konnten den erbarmungslos um sich schiessenden Terroristen in einer wilden Zickzackfahrt entfliehen. Im Versuch, den Bestien auszuweichen musste Yoav zweimal wenden. Dann wurde ihm klar, dass sie keine andere Wahl hatten und er steuerte kurzentschlossen auf das Inferno zu. Mit eingezogenen Köpfen und dem Tod vor Augen rasten sie in kühner Fahrt durch den Kugelhagel. Eine Kugel traf Yotam während der Amokfahrt an der linken Brust, sie drang knapp einen Zentimeter über dem Herzen ein und unter der Achsel hinaus. Yotam’s Freunde, Yoav, mit Fahrkünsten, die man sonst nur in Actionfilmen sieht, und Tomer, Sanitäter der Armee, retteten ihm das Leben. Als ein auf dem Rücksitz liegender grosser Sitzsack von Schüssen zerfetzt wurde, füllte sich das Auto mit Styroporkügelchen. Tomer, der Sanitäter, konnte während der verrückten Fahrt Yotam’s Blutung unter Kontrolle halten. (Hier möchte ich mit etwas Stolz noch anmerken, dass Yoav im Militär ein Schüler unserer Tochter Sivan war, die ihren Dienst als Ausbilderin von Sanitätern geleistet hatte.)

Etwas weiter nördlich trafen die drei auf eine südwärts fahrende Ambulanz, die sie nach Beersheva ins Spital brachte. Yotam war unter den ersten zehn Verletzten, die dort eintraffen. Tomer und Yoav erzählen, dass kurz darauf in der Notaufnahme das totale Chaos ausbrach. Jetzt lachen sie darüber, dass sie beide nicht einmal untersucht worden sind, obwohl sie durch die Scheibensplitter auch verletzt worden waren.

Yotam sah viele Minuten lang dem Tod in die Augen. Die Schusswunde ist gross und hässlich, zu allem Unglück hatten sich die Styroporkügelchen grossflächig mit dem zerfetzten Gewebe vermischt. Aber sie wird heilen. Man sieht Yotam an, dass er noch nicht einmal angefangen hat, das Geschehene zu verdauen. Vor allem die Tatsache, dass sich die Clique seiner Freunde im Chaos aus den Augen verloren hat, belastet ihn besonders. Mit Nitzan und Lidor, die nicht überlebt haben, war er kurz vor dem Überfall noch zusammen.

Auch das Schicksal von Yotam ist nur eines von Tausenden, aber ihm gegenüber zu sitzen und die Geschichte aus seinem Mund zu vernehmen, ist haarsträubend.




Nach dem Gespräch mit Yotam suche ich das Foto hervor, auf welchem er (rechts) und unsere Tochter Sivan im Schoss der stolzen Väter liegen. Ich schaue sie an und kann einfach nicht begreifen, dass diese unfassbaren Horrorgeschichten tatsächlich mit uns, mit unseren Babies auf diesem Bild, zu tun haben sollen. Seit der Aufnahme sind 28 Jahre vergangen, aber das macht keinen Unterschied. Für mich sind sie immer noch meine Kinder.


Wer jetzt etwas zu den Kindern in Gaza sagen möchte, soll bitte zuerst hier nachlesen.


In diesem Video spielen Soldaten der IDF in den Überresten eines Hauses im zerstörten Kibbutz Be'eri die Ha'tikva (die Hoffnung), die Nationalhymne Israels. Im Kibbutz Be'eri wurden 130 Menschen massakriert. Viele andere wurden als Geiseln genommen, darunter die 85-jährige Yaffa Adar, die zuletzt in einem Golfwagen wegfahrend, umgeben von bewaffneten Terroristen, gesehen wurde.







Mittwoch, 18. Oktober 2023

Have a wonderful weekend

Die Schlagzeilen und Nachrichten überschlagen sich und werden für Bekannte und Familie in der Schweiz und anderswo sehr unübersichtlich. Oft werde ich gefragt, wie wir die jetzige Situation erleben, was wir mitbekommen, wie das für uns persönlich aussieht. Das möchte ich gerne beschreiben.

Heute morgen bin ich seit langem wieder einmal laufen gegangen, nach einer längeren Pause aufgrund von Verletzungen. Die Felder und der nahegelegene Wald sind jetzt zu unsicher, deshalb umrunde ich nur unseren Wohnort, ohne ihn zu verlassen. Sonst laufe ich ohne Musik, ich liebe es, nur meine Schritte zu hören und meinen Atem zu spüren. Aber jetzt habe ich grösste Mühe, die Horrorbilder und Schreckgedanken fernzuhalten. Aber dass ich jetzt wieder laufen und auch schreiben kann, empfinde ich als ein Zeichen, dass es mir im Moment gerade etwas besser geht.

Unser Dorf im Zentrum Israels mit etwa 12,000 Einwohnern ist auch zu „normalen“ Zeiten vollkommen eingezäunt. Es gibt vier befahrbare Eingänge mit Schranken, die sonst nur nachts geschlossen werden. Jetzt sind drei dieser Eingänge rund um die Uhr geschlossen, der vierte Eingang wird Tag und Nacht von zwei bewaffneten Männern bewacht. Schulunterricht findet keiner statt.

Ich arbeite im Home office und bin froh, durch die Arbeit abgelenkt zu werden. Wenn immer ich es wage, eine kurze Pause zu machen, holt mich die Realität ein und lässt mich einknicken. Seit dem 7. Oktober habe ich unser Haus nur wenige Male verlassen, zweimal war ich an Beerdigungen, zweimal an einer Shiv’a und einmal habe ich unseren Soldatensohn und dessen schwerstverletzten Freund im Spital in Naharyia besucht.

Bei uns zuhause arbeitet auch mein Mann jetzt im Home office und mit uns leben unsere jüngste Tochter Lianne (22) und jetzt auch abwechslungsweise meine Schwiegermutter (83) und die Tochter Sivan (28) und ihr Freund, deren Wohnung in Tel-Aviv nun leer liegt. Alle müssen essen, aber ich habe keine Kräfte, ich koche kaum, putzte nicht, der Garten liegt brach, Einkäufe erledige ich online.

Unser Sohn Itay (26) ist als Reservist eingezogen, er dient in einer Kampfeinheit an der nördlichen Grenze Israels.

Auch Sivan ist als Reservistin eingezogen, sie bildet Notfallsanitäter aus, kommt aber nachts nach Hause. Sie ist ausserordentlich froh, dass sie eine Tätigkeit hat, denn in der PR-Agentur in der sie arbeitet, gibt es im Moment nichts zu tun. Ihr Freund arbeitet zu Hause oder fährt ins Büro. Sein jüngerer Bruder ist ebenfalls Soldat der Reserve und in der Nähe des Gazastreifens stationiert.

Unsere Jüngste, Lianne (22), hätte letzte Woche eine neue Arbeit beginnen sollen. Das war dann leider nicht mehr aktuell. Jetzt schlägt sie die Zeit tot und wird wahnsinnig.

Unsere Supermärkte funktionieren noch, aber viele Waren fehlen. Viele andere Läden sind geschlossen, die meisten Restaurants haben auf Mahlzeitenproduktion für die Reservisten umgestellt, mit Hilfe von Spendern und Freiwilligen.

Raketenalarm gab es in unserem Dorf seit dem 7. Oktober nur zweimal. Aber ich habe die App des Heimatfront-Kommandos auf meinem Handy und bekomme Push-Nachrichten auch für andere, ausgewählte Regionen. Bei Rakentenalarm heulen die Sirenen, dann gehen wir schnell in den Schutzraum, welchen wir jetzt in Ordnung gebracht haben. Die Türe lässt sich zwar noch immer nicht abschliessen, aber Eyal gibt mir pragmatisch zu verstehen, dass wir den Schutzraum wahrscheinlich nicht mehr brauchen, wenn der Feind bis hierher kommt. Das würde bedeuten, dass wir vermutlich keine Armee mehr haben und dann wären wir eh verloren..

Am Morgen des Massakers arbeitete ich in der Küche. Nach einer Weile stellte ich das Radio ab, da wegen der Durchsagen über die Raketenalarme kein einiziges Lied durchgespielt werden konnte. Dann rief Sivan an und teilte mit, dass einer ihrer Freunde, die an dem Musikfestival waren, an welchem 260 junge Leute brutal ermordet wurden, angeschossen wurde und er und zwei Kumpel Hals über Kopf fliehen konnten. Gegen elf Uhr verstanden wir, dass da etwas sehr Grosses und Uneinschätzbares im Gange war und Eyal fuhr nach Tel-Aviv, um die dort wohnenden Kinder zu uns zu holen.

Seither reissen die Horromeldungen nicht mehr ab. Schlag auf Schlag folgen die unfassbaren Mitteilungen, Nachrichten, Bilder.

Mindesten sechs sehr gute Freunde meiner Kinder sind tot, sie wurden als Partygänger an dem Festival oder als junge Soldaten an dem Massaker brutalst ermordet.

Ich war an zwei Beerdigungen von jungen Menschen und an einigen Trauerbesuchen, meine Kinder an vielen mehr. Was für ein simpler Satz. Was für ein unfassbares Leid. Über Nitzan habe ich hier geschrieben. Nitzan’s Mutter brach während der Beerdigung dreimal zusammen.

Ein weiterer junger Freund meiner Töchter wird noch immer vermisst. Vielleicht ist er unter den Geiseln? Die Identifizierung der Leichen ist immer noch im Gange. Viele davon sind entstellt, zerstückelt, verbrannt. Jeden Tag treffen neue Namen ein.

Irgendwann wurden die unaufhörlichen Schläge in die Magengrube zuviel. Seither versuche ich mich von den Medien fernzuhalten. Unser persönliches Leid ist auch so mehr als genug, ich habe keine Kraft, Tausende von bestialischen Morden zu verarbeiten.

Zum ersten mal so richtig zusammengebrochen bin ich vor einigen Tagen, als wir kurz vor dem Shiv’a Besuch bei Yonis Familie die Nachricht erhalten haben, dass Alon schwerst verletzt worden ist. Alon (26) ist einer der besten Freunde unseres Sohnes Itay. Erst vor Kurzem haben wir uns ein Video angesehen, in welchem Itay an seinem ersten Schultag im neuen Wohnort in der zweiten Klasse von Alon herzlich empfangen wird und die beiden Jungs irgendwelche Sammelkarten austauschen. Damals waren sie ahnungslose, glückliche Kinder. Jetzt sind sie gezwungen, Uniformen und Waffen zu tragen, um ihre Familien und ihr Volk zu verteidigen. Im Gegensatz zu anderen Völkern in unserer Nachbarschaft erziehen wir unsere Kinder nicht zum Töten, sondern wir schicken sie schweren Herzens ins Militär, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Itay und Alon haben ihre ganze Schullaufbahn zusammen verbracht, sie waren zusammen bei den Pfadfindern, reisten einige Male ins Ausland, und letztes Jahr einen ganzen Monat nach Mexiko. Alon ist ein Sohn unseres Hauses, seine Eltern und Geschwister sind gute Freunde.

Vor einigen Tagen ist Alon bei einem Verteidigungsmanöver schwerst verletzt worden. Eine Soldatin wurde von einer Granate sofort getötet, Alon wurden Extremitäten weggerissen. Seit dem Vorfall weilt unser Itay mit der Familie von Alon im Spital. Nachts legt er sich irgendwo auf den Boden, um einige Stunden die Augen zu schliessen, sein Sturmgewehr dabei fest umarmt. Die Ärzte glauben, dass Alon einmal eine Braue und einmal eine Zehe bewegt hat, daran klammert sich die Familie. Itay wird bald zu seiner Einheit zurückkehren müssen. Ich werde ihn dabei unterstützen, so unendlich schwer mir das als Mutter fällt.

In jeder Sekunde, in der ich mich nicht ganz bewusst mit irgendetwas ablenke, sehe ich  Alon vor mir. Nachts habe ich Angst, mich hinzulegen und wenn ich schlafe, habe ich Angst, aufzuwachen. Die Gedanken an Alon verfolgen mich. Dabei ist das schwere Schicksal von Alon und seiner Familie nur eines von Tausenden in diesen Tagen.

Am Montag fuhren mein Mann und ich nach Naharyia, um Itay und Alon's Familie zu unterstützen. Es war das erste mal, dass wir Itay wiedergesehen haben, seit er am 8. Oktober eingezogen worden ist. An diesem Montag konnte er auch das erste mal wieder duschen. Die Uniform steckt seither in einer Tasche, Bekannte haben ihm eine alte Hose und ein rosa T-Shirt ausgeliehen.

Auf der Fahrt nach Hause spielten alle Navigationsgeräte verrückt. Man sagt, die Armee würde absichtlich die Satelliten unterbrechen. Ausserdem gab es in Tel-Aviv Raketenalarm, während Lianne an der Beerdigung ihrer Freundin Shir teilnahm, die am Festival ermordet wurde. Die Trauergemeinde, welche Shir's Leib auf dem letzten Weg begleitete, musste sich schutzsuchend zu Boden werfen, denn auf Friedhöfen gibt es keine Schutzräume. Wir wurden natürlich in Echtzeit per WhatsApp auf dem Laufenden gehalten. 

Es ist alles wie in einem katastrophalen Horrorfilm, nur spielen darin ausnahmsweise, nebst vielen anderen, wir selbst und unsere Kinder mit.
 
 
Die kurzgehaltene Whatsapp Meldung unserer Tochter: "Raketenalarm während der Beerdigung"



Das Leid ist in diesem Ausmass nicht mehr zu erfassen und nicht mehr zu ertragen. Ich versuche, mich von den Nachrichten fernzuhalten, aber leider holen mich viele davon ein. Mein Fass ist übervoll. Ich versuche Bücher zu lesen, aber wir haben jetzt alle ein schweres Aufmerksamkeitsdefizit und können keinen Satz fertiglesen. Meine Stimmung schwankt zwischen totaler Verzweiflung und Momenten der Hoffnung. Ich schlafe nachts nicht, habe konstant Atemnot und fühle mich wie ein alter Waschlappen. Sivan raucht jeden Abend einen Joint, ich trinke eher öfter ein Gläschen, Lianne frisst Unmengen von Zucker in sich hinein. Das ist jetzt alles egal, solange es uns einigermassen auf den Beinen hält.

Meinen Geschwistern in der Schweiz habe ich mitgeteilt, das ich nicht mehr telefonieren kann. Wie soll man sich am Telefon unterhalten, wenn eine Person im Krieg ist und die andere in der Schweiz beim Apéro? Ich weiss, dass sie sich machtlos fühlen, dass sie sich um uns sorgen und in Gedanken bei uns sind. Aber ich weiss auch, dass das Leid nicht mehr nachvollziehbar und nicht komunizierbar ist, vor allem nicht am Telefon.

Ich fühle mich schlecht dabei, diesen Bericht in den Blog zu stellen. Wenn ich ihn durchlese, bin ich selbst schockiert. Ich will keinen Kriegsporno betreiben, aber warum soll ich dieses Leid für mich behalten? Eine Arbeitskollegin in den USA wünschte mir in einer Mail am letzten Freitag "Have a wonderful weekend!" Dieser bestimmt nicht absichtlich gemachte schlechte Witz hallt immer noch nach. Für Leute wie sie veröffentliche ich diesen Beitrag. Nein, ich habe kein wunderbares Wochenende verbracht. Wir sind am Boden zerstört.

Und habe ich eigentlich über die Angst geschrieben, dass alles noch viel schlimmer werden könnte?

Für Öffentlichkeitsarbeit oder den zusätzlichen Krieg, der sich in den Medien abspielt, habe ich keine Kraft und noch viel weniger für Aussagen wie „...aber die Zivilisten in Gaza...“. Darüber können wir ein andermal sprechen, vielleicht, wenn wir wieder einigermassen bei Kräften sind.

Bitte betet für Alon, für alle Verletzten, für die Geiseln, für alle Betroffenen, für Israel und für bessere Zeiten.



Samstag, 14. Oktober 2023

Nitzan



Am Donnerstag haben wir Nitzan zu Grabe getragen, Klassenkameradin und gute Freundin meiner älteren Tochter. Ihr Leib wurde neben Lidor, ihrem Verlobten, der einen Tag vor ihr beerdigt wurde, zur Ruhe gelegt. Nitzan’s Geschwister, die Zwillinge Ofri und Omri waren in der Klasse meiner jüngeren Tochter. Das Haus ihrer Familie liegt in der Strasse hinter uns.

Nitzan und Lidor waren an der Rave-Party im Süden. Der Kontakt zu Nitzan brach am Samstagmorgen des 7. Oktobers ab, aber schon bald erhielt die Familie ein Video, in welchem Nitzan, Lidor und einige Freunde in einem offenen Betonbunker Schutz suchend erkennbar sind. Sie scheinen verängstigt, aber wohlauf. Das Video gibt der Familie Hoffnung in den zermürbenden vier bis fünf Tagen der Ungewissheit. Vielleicht halten sich die jungen Leute irgendwo versteckt. Später, am Tag, der die Gewissheit bringt, kursiert in den Medien ein weiteres Video desselben Betonbunkers (er trägt einen grossen gemalten Vogel auf seiner Vorderseite) vor welchem einige schwer bewaffnete Terroristen ihr grausames Werk treiben und einer der Unmenschen eine Handgranate in den Bunker wirft. Nach der Beerdigung von Nitzan wird auch die Aufnahme ihres letzten Telefongesprächs mit ihrer Mutter publik gemacht. Nitzan schreit, dass geschossen wird und dass sie hier weg will.

Erst vor wenigen Tagen hatte Nitzan ihrer Familie mitgeteilt, dass sie schwanger war und die Familie begann freudig die Hochzeit zu planen.

Nun ziehen sich meine Mädchen an und treffen ihre Freundinnen, aber sie gehen nicht an eine Hochzeit oder eine Party, wie es für ihr Alter normal wäre, sondern an die Beerdigung und später die Schiv’a von Nitzan.

Die Geschichte von Nitzan ist nur eine von einer nicht nachvollziehbaren Zahl an unfassbaren Horrorgeschichten.



Rabbi Jonathan Sacks schreibt in seinem Buch „A Letter in the Scroll“: „Das Judentum vertritt die kühne Idee, dass Mensch und Gott Partner im Schöpfungswerk sind.“
„Gott steckt nicht in der Antwort, sondern in der Frage. Auf die Frage "Warum leiden die Unschuldigen?" gibt es auf der Ebene des Denkens keine Antwort. Die einzige angemessene Antwort liegt auf der Ebene der Tat, auf dem langen Weg zu einer Welt, in der die Unschuldigen nicht mehr leiden. Das jüdische Gesetz fordert uns auf, nur das zu akzeptieren, was nicht geändert werden kann, und es gibt kein Übel in der Zukunft, das nicht geändert werden kann.“ 
Wir müssen diesen langen Weg gehen. Wir müssen jetzt die Antwort sein.


Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich habe, seit ich das Judentum zu begreifen versuche, eine tiefe Hochachtung und Liebe für die Werte dieser schon in ihren Anfängen revolutionären Religion. Schon länger, seit ich mich bewusst damit befasse, die jüdische Identität zu verstehen, sowohl im Zusammenhang mit dem Lande Israel als auch im Bezug auf die Weltgeschichte, bin ich religiösen jüdischen Menschen in den mannigfaltigen Facetten der Religiösität dankbar. Sie nehmen die nicht immer einfache Arbeit auf sich, diese Religion zu leben, am Leben zu erhalten und weiterzugeben. Ich selbst fühle mich den Werten der Religion aus tiefstem Herzen verbunden, aber die Traditionen bleiben mir  obwohl sehr bekannt  fremd, vielleicht weil sie nicht in mir verwurzelt sind (ich bin konvertierte Jüdin). 

Den Kiddusch (das Sabbatgebet) beten wir sonst nur, wenn meine Schwiegermutter zu Besuch kommt, und auch dann nur halbherzig. Aber meine Kinder kennen das Gebet auswendig, sie haben es bei meinen Schwiegereltern jeden Freitag ihrer Kindheit gemeinsam gebetet. Diesen Freitag beten wir auch wieder gemeinsam: meine Töchter, der Freund, mein Mann, meine Schwiegermutter. Unser Sohn, als Reservist im Norden an der libanesischen Grenze stationiert, nimmt per Videoanruf teil. Sein Handy muss dunkel bleiben, deshalb sehen wir im Dunkel der Nacht nur seine Umrisse. Er spricht das ganze Gebet auswendig vor, sein Grossvater wäre stolz auf ihn. Dieser Zusammenhalt gibt uns nun Kraft und ich hoffe, dass auch meine Töchter zuversichtlich bleiben können „auf dem langen Weg zu einer Welt, in der die Unschuldigen nicht mehr leiden.“




Freitag, 13. Oktober 2023

Für unsere Kinder

Gestern bin ich etwas zusammengebrochen. Nach Aufenthalt im Schutzraum am Mittwochabend wegen falschem Alarm, Aufenthalt im Schutzraum am frühen Morgen danach wegen echtem Alarm, zwei Beerdigungen am Nachmittag (Yoni, 21 und Nitzan, 28, im vierten Monat schwanger) und all den unfassbaren, schrecklichen Nachrichten war ich am Abend am Boden zerstört. Seit Samstag leide ich an Atemnot und schlafe nachts nicht länger als vier oder fünf Stunden.

Aber heute Morgen habe ich eine grosse Israelflagge vor unser Haus gehängt und beschlossen, stark zu bleiben. Ich werde ganz aktiv versuchen, diese schreckliche Realität von mir fernzuhalten, denn anders ist es nicht auszuhalten. Ich werde mein Handy nicht mehr anrühren, es sei denn, jemand ruft mich an. Kein Instagram, kein Facebook, keine Zeitungen, keine Nachrichten. Ich werde nur noch Bücher lesen. Und ich werde ganz fest daran glauben, dass wir das überstehen werden. Das Gute muss über das Böse siegen. Für unsere Kinder.

Dienstag, 10. Oktober 2023

Stop all the clocks (Funeral Blues)

Für Nizan (28), Yuval (26), Omer (22), Sivan (22), Peleg (26), Yoni (22) und ihre Familien



Stop all the clocks, cut off the telephone,
Prevent the dog from barking with a juicy bone,
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come.

Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message 'They Are Dead'.
Put crepe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.

They were my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
I thought that love would last forever: I was wrong.

The stars are not wanted now; put out every one,
Pack up the moon and dismantle the sun,
Pour away the ocean and sweep up the wood;
For nothing now can ever come to any good.

W. H. Auden (1907-1973)


Donnerstag, 5. Oktober 2023

Bruno




Beim Autofahren vernehme ich aus dem Morgenprogramm im Radio, dass Agam Buhbut als eine der Aufwärmesängerinnen für ein Konzert von Bruno Mars gewählt worden ist. Ich kenne Agam nicht, sie ist für mich ein weiteres Sternchen am unübersichtlichen israelischen Schlagerhimmel. Aber ich weiss sehr wohl wer Bruno Mars ist und denke, alle Achtung Agam, als Vorsängerin für ein Bruno Mars-Konzert ins Ausland fliegen zu dürfen ist ein Karriereschritt, auf den du stolz sein darfst.

Etwas später erfahre ich aus den Medien, dass Agam gar nicht ins Ausland fliegt, sondern dass der Megastar Bruno Mars in Israel auf Tournee ist und heute Abend im Hayarkonpark in Tel-Aviv aufspielt. So macht die Sache mit der Vorsängerin Agam schon mehr Sinn, bedeutet aber immer noch ein beachtenswerter Erfolg.

Dann nimmt das Schicksal seinen Lauf und ehe ich mich versehe, befinde ich mich kurz nach sieben Uhr abends mit einer Freundin und meiner Tochter im „Golden Ring“ des Bruno Mars-Konzerts, von welchem ich am Morgen dieses Tages überhaupt noch nichts wusste. Spontan und gratis eingeschmuggelt von einem Crewmitarbeiter, Sohn der Freundin! Etwa 60‘000 Leute (+drei) drängeln sich im Park und warten fiebernd auf den Auftritt des Stars. Bruno und seine Band legen pünktlich und professionell zum geplanten Zeitpunkt los und hüpfen und fetzen in einer grandiosen und eindrücklichen Show fast zwei Stunden über die Bühne. Die Aufwärmesänger Mergui und Agam haben da noch einiges zu lernen.

Da ich nicht gerade der Musikshowfreak bin, habe ich einen Anlass dieser Ausmasse noch nie erlebt, sieht man von den Konzerten der Rolling Stones (ja, ja, DIE Rolling Stones) und Neil Young in Basel in den Achtziger Jahren ab, wo ja alles noch etwas geruhsamer zu und  her ging.

Nach Ende der Show strömen die 60‘000 Besucher aus dem Park in alle Richtungen, von der Polizei geschleust. Auf dem eigentlich kurzen Weg zum Bahnhof müssen wir kontrolliert an zwei abgesperrten Stellen warten, um zu verhindern, dass sich plötzlich Zehntausende auf den Bahnsteig drängeln. So dauert die Heimreise aufgrund der Menschenmassen fast zwei Stunden. Im Zug fängt nach Mitternacht meine Geburtstagsfeier an, untermalt von einem spontanen Happy-Birthday-Ständchen meiner Tochter, in welches natürlich alle Reisenden im Waggon einstimmen – Israel eben!

Fazit: ein aussergewöhnlich eindrückliches Erlebnis, das durch die Spontaneität und die Fügung des Schicksals, das uns die begehrten Tickets ganz unerwartet ausgerechnet an meinem Geburtstag in den Schoss schneite, noch um ein Vielfaches mehr faszinierte. Aber auch – zu viel Lärm für meine alten Ohren und zu viele Menschen und Gedränge. Und fast vier Stunden an Ort stehend zu verbringen, ist wohl auch eher etwas für Jüngere.

Immerhin, ich bin begeistert und sehr dankbar für dieses einmalige Erlebnis. Und jetzt, am Morgen danach sitze ich im Garten und starte mit einem grossen Beruhigungstee mit Honig in meinen Geburtstag, denn ich bin heiser und habe Ohrensausen und ein Hangover, als hätte nicht Bruno Mars, sondern ich persönlich gestern Nacht eine Megashow hingelegt.