Dienstag, 25. Januar 2022

Ein Morgen



Nachts regnet es. 
Davon bekomme ich schlafend nicht allzu viel mit, aber die Strassen sind nass, als ich mich im Dunkeln aus dem Haus stehle. Am noch nächtlich grauen Morgenhimmel fegt der Wind gerade die letzten Wolken weg. Nach zehn Minuten Fahrt ins Nachbardorf ist es hell und ich beginne zu laufen. 

Das Laufen ist wie immer, auch nach mehr als zehn Jahren, eine Herausforderung. Der Körper verlangt auf jedem der mehreren Tausend Schritten nachdrücklich nach seinem natürlichen Ruhezustand. Der Kampf ist immer da. Die Kunst ist es, die Gedanken daran nicht überhand nehmen zu lassen. Meine Sinne sind damit beschäftigt, die frische feuchte Luft, den wolkigen blauen Himmel, die regennassen Bäume und Sträucher und den Morgendunst sehend, riechend und hörend in mich aufzunehmen. Ich freue mich über die aufgehende Sonne, die sich in den Pfützen spiegelt und über die Kraft und Lebendigkeit meines Körpers an diesem Morgen. 

Dann, schweissnass trotz der kühlen Morgentemperaturen, fahre ich weiter ins Büro zum Duschen. Während der kurzen Fahrt bemitleide ich all jene Fahrer, die aus dem muffigen Bett noch halb schlafend zur Arbeit fahren, ohne eine Runde an der frischen Luft gedreht zu haben. 

Als ich etwas später die Duschräume verlasse, ist der Himmel wieder grau verhangen. Auf den wenigen Metern Fussweg ins Büro tropft schon leichter Regen auf mein frisch gewaschenes Haar. Es wird ein nasser Tag werden. Die trockene Stunde war ein Geschenk des Himmels an die Morgenläufer.


Mittwoch, 12. Januar 2022

Ein Heim für Pinguine

In den Wintermonaten fallen die Temperaturen in unserem Haus auf arktische Verhältnisse. Nächtliche Aussentemperaturen um 9 bis 12 Grad, schlechte Bauqualität, fehlende Isolation und Unterkellerung und ein luftdurchlässiges Ziegeldach führen dazu, dass im Winter in unserer Stube ideale Bedingungen für Pinguine herrschen. Wir diskutieren seit Jahren über Anschaffung eines Gasofens, heizen aber weiterhin  nur in wirklich prekären Stunden  mit Klimaanlage, deren Wärme in Sekundenschnelle wieder verpufft und ausserdem die Luft austrocknet. Ende Dezember, als es einige Tage nacheinander grau, kalt und regnerisch war, zeigte das Thermometer in der Stube 16.7 Grad Celsius. Bis es im Frühling wieder wärmer wird, bekämpfen wir die Kälte indem wir uns warm anziehen und möglichst aktiv sind (Putzen, Kochen, Treppenlaufen, Seilspringen, Hampelmänner, usw.). Abends sitzen wir mit warmen Decken in der Stube und trinken literweise heissen Tee. Nachts wappnen wir uns mit einer wunderbaren Daunendecke gegen die eisigen Lüfte im Schlafzimmer. 

Natürlich liegt die Innentemperatur nicht immer bei 16.7 Grad, aber über 18 oder 19 Grad sind es zwischen Dezember bis Ende Februar selten.

Der menschliche Körper scheint sich an Temperaturen zu gewöhnen. Unterdessen komme ich mit den Kältegraden ganz gut zu recht. Die 20 bis 25 Grad in den Häusern meiner Familie und Bekannten in der Schweiz empfinde ich als schon fast unerträglich.

Wie die meisten Israeli ziehe ich unterdessen den Winter dem Sommer vor. Die zahlreichen Sonnentage sind ein Segen. Diese vermögen zwar unser Haus bis im März kaum zu erwärmen, spenden aber viele Stunden erfreuliches Sonnenlicht und täglich einige Stunden angenehme Wärme (draussen, wohlgemerkt, nicht drinnen). Auch jetzt im Januar wird es auf unserem Sitzplatz unter dem Vordach gerne bis 25 Grad warm, so dass man sich der warmen Socken und Fliesjacken für kurze Zeit entledigen kann und sich sogar vor Sonnenbrand schützen muss. So wird die Vitamin-C- and -D-Pause am späten Vormittag zum puren Genuss.



Montag, 3. Januar 2022

Kein bisschen Chaos

Gemäss den aktuellen Corona-Regelungen muss ich mich nach Rückkehr aus einem Land, das auf Israels roter Liste steht (Schweiz), zwei Wochen in Quarantäne begeben. Mit einem negativen PCR-Test kann ich die Quarantäne auf Wunsch nach sieben Tagen verkürzen. Auch nach der Ankunft am Flughafen Tel-Aviv musste ich mir schon für einen Test in der Nase bohren lassen. Ich war überrascht, wie flott die Ankommenden durch die verschiedenen Stationen (Passkontrolle, PCR-Test, Gepäckabgabe) katapultiert wurden. Nach knapp 15 Minuten konnte ich den Flughafen verlassen, nach Durchführen des PCR-Tests, mit dem Koffer in der Hand und der Verpflichtung, für meine Heimisolation zu sorgen.

Von diesem Moment an trafen während einer Woche mehrmals täglich SMS-Nachrichten der Covid-Polizei ein, um meine Quarantäne zu überwachen. Vor dem Flug hatte ich dem elektronischen Ortungsverfahren zugestimmt und meine Quarantäneadresse angegeben. Wer sich nicht elektronisch orten lassen möchte, muss sich einfach ab und zu auf einen Besuch der Polizei in persona gefasst machen. Ich bevorzugte die elektronische Variante und deshalb durfte nun die Polizei über Satellitenortung jederzeit überprüfen, ob ich auf dem Bürostuhl im Zimmer oder auf dem Sofa in der Stube sass.

Die Isolation empfand ich als höchst willkommene Einrichtung um mich von der seelischen Aufgewühltheit, den Strapazen und Eindrücken der Reise zu erholen. Ich konnte schlafen bis ich ohne Wecker aufwachte, im Heimbüro arbeiten und mir über Mittag im Garten die Wintersonne auf den Pelz brennen lassen. Ausserdem trug ich eine Woche lang dieselben alten Kleider, wusch meine Haare nicht, liess mein Fitnesstraining sausen und mir die Einkäufe vom Supermarkt nach Hause liefern. Die israelische Covid-Polizei konnte stolz auf mich sein, ich war unbestreitbar die Klassenstreberin in diesem Verein der zu Überwachenden. Ich verspürte nicht die geringste Versuchung, aus dem Gefängnis auszubrechen. Mit gutem Gewissen und in sekundenschnelle verschickte ich per Fingerdruck eine Woche lang Standortmeldungen aus der angegebenen Wohnadresse.

Mit einem weinenden Auge beschloss ich aber doch, nach einer Woche den zweiten PCR-Test zu machen, um die Quarantäne zu verkürzen.

Die nächste Drive-in-Teststation ist nur wenige Autominuten von unserem Wohnort entfernt. Mit der geschätzt mehrere hundert Autos langen Warteschlange hatte ich jedoch nicht gerechnet. Die Krankenzahlen schnellen in diesen Tagen wieder in die Höhe und sowohl Reiserückkehrer als auch Personen, die aufgrund von Kontakt mit Corona-Kranken in Quarantäne sind, müssen den Test über sich ergehen lassen.

Es ist Schabbat, ich habe gerade nichts anderes zu tun und wie es aussieht, bewegt sich die Autoschlange ziemlich schnell voran. Also reihe ich mich ein und dann staune ich nur noch über dieses Beispiel musterhafter Organisation. Da können sich andere Länder  auch solche, die sich für Meister der Ordnung halten  getrost eine Scheibe von uns abschneiden. Eine grosse Anzahl junger Leute, wahrscheinlich Studenten, frischen temporär mit den Test-Aktivitäten ihr Taschengeld auf. Die Tests sind von der israelischen Heimatfront organisiert und gratis. Das nun folgende Szenario dauert etwa 40 Minuten und verläuft wie folgt: Schon ziemlich am Anfang wird der Verkehr auf der langen Strasse vor der Teststation in zwei Reihen auf beide Seiten der Fahrbahn geschleust. Flugblätter mit einem einzulesenden Code werden verteilt. Mit dem Code öffnet sich ein elektronisches Formular auf dem Handy, mit welchem ich mich für den Test anmelde (ich tippe fahrend am Steuer, wohlgemerkt). Man kann aus etwa fünf verschiedenen Gründen für den PCR-Test wählen. Für mich relevant ist die letzte: Verkürzung der Quarantäne. Das Ausfüllen des Formulars wird mit Erhalt eines Strichcodes bestätigt. Jetzt bin ich registriert. Dann fahre ich im Schritttempo weiter und als ich mich endlich der Teststation, einem grossen Plastikzelt nähere, geht es weiter mit der Registrierung: Ein Angestellter liest meinen Strichcode ein und übergibt mir zwei Klebeetiketten, die er einem kleinen handgehaltenen Drucker entnimmt. Nach den zwei Autos vor mir bin ich an der Reihe: Ich übergebe meine Kleber einer der jungen Frauen im Schutzanzug. Sie entnimmt flink die Proben aus meinem Rachen und Nase, ohne dass ich das Auto verlassen muss. Der Test dauert zwanzig Sekunden, dann bin ich entlassen und darf nach Hause fahren.




Weil aufgrund des grossen Ansturms Verzögerungen beim Erhalt der Resultate entstehen könnten, mache ich mich auf mindestens zwei weitere Tage in Quarantäne gefasst. Aber schon nachts um zwei, während ich schlafe, senden mir die fleissigen Mitarbeiter des Testlabors eine Mitteilung, dass die Testresultate negativ sind. Zwei Stunden später, um 4:06, folgen die Mitteilungen des Gesundheitsministeriums und der israelischen Covid-Polizei, dass ich das Quarantänegefängnis ab 2.1.2022 um 04:04 verlassen darf. Um 8:01 hinkt meine Krankenkasse mit derselben Nachricht hinterher. Somit sind nun sämtliche Systeme synchronisiert, die mich, mein Leben und jeden meiner Schritte in engmaschiger elektronischer Überwachung unter Kontrolle haben.

Für die israelische Covid-Polizeit bedeutet das Ende meiner Quarantäne der Verlust der geflissentlichsten Kontrollandin. Für mich bedeutet es: Zurück in den Alltag.