Am Freitag treffen wir uns bei der quirligen 85-Jährigen zum gemeinsamen Essen. Auch Eyals Brüder, meine Schwägerin sowie mehrere Enkelkinder sind da. Alle amüsieren sich über das Missgeschick und vor allem über die schockierten Gesichter der Gäste, die ihre Überraschung kaum verbergen können.
Ich selbst muss beim ersten Anblick kurz schlucken. Dann versichere ich jedoch höflich, dass ihr die neue Farbe eigentlich ganz gut steht. Nur meine Schwägerin nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund. "Bist du verrückt? So kannst du unmöglich auf die Strasse gehen!" Alle lachen über die gnadenlose, doch gut gemeinte Ehrlichkeit. Und wir schmunzeln über die "verrückte alte Frau", die auch vor den roten Haaren schon als etwas meschugge galt. Und sie? Sie freut sich über die vielen Gäste, sorgt dafür, dass niemand hungrig bleibt, kümmert sich einen Dreck um ihr Aussehen und was ihre Angehörigen darüber denken — und lacht mit.
Überhaupt lachen wir viel an diesem Freitag.
Dieses Essen hätte vor zwei Wochen stattfinden sollen. Doch dann kam der Krieg mit dem Iran — ein unerwartetes, plötzlich losbrechendes Inferno. Eine Steigerung der eh schon kaum erträglichen, andauernden Kriegssituation. Meine Schwiegermutter wurde für zwölf Tage zu meinem Schwager gebracht, wo sie vielleicht nicht sicherer, doch wenigstens nicht alleine war.
Jetzt, zwei Wochen, mehrere Tausend Sirenenalarme (verteilt über das ganze Land), etwa 25 Einschläge, 28 israelische Todesopfer, Hunderte Verletzte, unzählige Obdachlose und immense Zerstörung später, ist diese Phase des Krieges vorbei.
Der Krieg endete am Dienstagmorgen in einem bedrohlichen Crescendo von Raketensalven, die uns dreimal innerhalb einer Stunde in die Schutzräume trieben.
Danach wurde es ruhig.
Schon am selben Abend verkündete der israelische Zivilschutz die Rückkehr zur Normalität: Die Schulkinder durften wenige Tage vor Beginn der Sommerferien wieder zur Schule gehen, wir kehrten zurück an die Arbeit, öffentliche Veranstaltungen waren wieder ohne Einschränkung erlaubt.
Auch ich könnte seither wieder ins Büro fahren, doch ich brauche noch Zeit, um den Schrecken abzuschütteln und vom Überlebensmodus ins bewusste Leben zurückzufinden. Die Raketen aus dem Iran, mit ihren mehrere Hundert Kilogramm schweren Sprengköpfen, die ausschliesslich auf israelische Zivilisten abgefeuert wurden, sind eine Bedrohung völlig anderer Dimension als die "gewohnten" Raketen aus Gaza, dem Jemen oder dem Libanon.
Erst nach Inkrafttreten der Waffenruhe wird mir bewusst, wie angespannt ich in diesen zwölf Tagen war. Jedes Zuschlagen einer Tür, jedes aufheulende Motorrad lässt mich zusammenzucken. Doch auch das Ausbleiben der Alarme, die plötzliche Stille, ist unheimlich. Lianne läuft seit Tagen murmelnd durchs Haus: "Kein Alarm — ich kann es nicht glauben — kein Alarm."
Ich lese fieberhaft Nachrichten, Analysen, Kommentare. Millionen frischgebackene Nahost-Experten und wilde Spekulanten überfluten die Medien. Wie stark ist das iranische Atomprogramm getroffen? Welche Auswirkungen wird Israels Präventivschlag auf die Weltordnung haben? Welche geopolitischen Folgen zeichnen sich ab? Vielleicht stehen historische Veränderungen bevor. Vielleicht auch nicht.
Ich lese fieberhaft Nachrichten, Analysen, Kommentare. Millionen frischgebackene Nahost-Experten und wilde Spekulanten überfluten die Medien. Wie stark ist das iranische Atomprogramm getroffen? Welche Auswirkungen wird Israels Präventivschlag auf die Weltordnung haben? Welche geopolitischen Folgen zeichnen sich ab? Vielleicht stehen historische Veränderungen bevor. Vielleicht auch nicht.
Ich suche nach einem letzten Strohhalm, der mir die quälende Frage erleichtern könnte, ob mein Dasein in dieser niemals zur Ruhe kommenden Kriegsregion noch erträglich und zu meistern ist.
Doch ich werde nicht klüger. Die Meinungen klaffen tief auseinander, die Analysen widersprechen sich stündlich. Die Lage ist unüberschaubar. Nichts vermag zu trösten.
Im Gegenteil. Schmerzlich bestätigt sich: Die Welt ist von Israel besessen — und nicht etwa im Guten. Eine Art kollektive Obsession herrscht in der westlichen Welt. Totaler Realitätsverlust und Ignoranz gegenüber der realen Bedrohung bilden den Boden für einen düsteren Anti-Israel-Rausch. Je mehr ich lese, desto tiefer öffnet sich der Abgrund der Ungeheuerlichkeiten.
Ich nehme mir also wieder einmal vor, mich nur auf mich selbst und meine Familie zu konzentrieren. Die wenigen Dinge aufzuspüren, die ich beeinflussen kann. Alles andere macht mich nur wahnsinnig. Alles andere muss gehen.
Schließlich holen wir am Freitag, mit zweiwöchiger Verspätung, das gemeinsame Essen nach. Niemand spricht vom Krieg. Alle wirken erleichtert: Wir leben. Wir haben ein Dach über dem Kopf. Wir lachen. Schon lange habe ich diese Familie nicht mehr so locker und fröhlich erlebt. Sogar das T-Shirt meines Schwiegersohnes wird zum Gegenstand einer heiteren Debatte: Ist es nun violett? Braun? Oder doch auberginefarben? Oder sind wir alle farbenblind?
Nur etwas ist gewiss: Die Haare meiner Schwiegermutter sind knallrot.
Im Gegenteil. Schmerzlich bestätigt sich: Die Welt ist von Israel besessen — und nicht etwa im Guten. Eine Art kollektive Obsession herrscht in der westlichen Welt. Totaler Realitätsverlust und Ignoranz gegenüber der realen Bedrohung bilden den Boden für einen düsteren Anti-Israel-Rausch. Je mehr ich lese, desto tiefer öffnet sich der Abgrund der Ungeheuerlichkeiten.
Ich nehme mir also wieder einmal vor, mich nur auf mich selbst und meine Familie zu konzentrieren. Die wenigen Dinge aufzuspüren, die ich beeinflussen kann. Alles andere macht mich nur wahnsinnig. Alles andere muss gehen.
Schließlich holen wir am Freitag, mit zweiwöchiger Verspätung, das gemeinsame Essen nach. Niemand spricht vom Krieg. Alle wirken erleichtert: Wir leben. Wir haben ein Dach über dem Kopf. Wir lachen. Schon lange habe ich diese Familie nicht mehr so locker und fröhlich erlebt. Sogar das T-Shirt meines Schwiegersohnes wird zum Gegenstand einer heiteren Debatte: Ist es nun violett? Braun? Oder doch auberginefarben? Oder sind wir alle farbenblind?
Nur etwas ist gewiss: Die Haare meiner Schwiegermutter sind knallrot.
2 Kommentare:
Die "gelöste" Stimmung beim Familienessen erinnert mich an die Erzählungen meiner Mutter; nie hätten sie so fröhliche Feste gefeiert wie zwischen den schaurigen Bombennächten im zweiten Weltkrieg. Was immer es ist - ich wünsche euch von Herzen ruhigere Zeiten. Dass sie anhalten mögen.
Das kann ich jetzt bestens nachvollziehen.
Vielen Dank für die guten Wünsche und für den Anstoss zu einem weiteren Blogartikel...
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