Dienstag, 9. Januar 2024

Der blanke Horror

Kaum schreibe ich über Normalisierung, folgen die Katastrophen Schlag auf Schlag.

Am Montag werden wieder Dutzende Raketen aus dem Gazastreifen auf Israels Zentrum abgefeuert. Die Hamas zielt dabei absichtlich auf dicht besiedelte Gebiete, auf Städte, auf israelische Zivilisten. Hunderttausende Israelis müssen Schutz suchen. Zum Glück können die Raketen vom Abwehrsystem Iron Dome vernichtet werden, bevor sie grossen Schaden anrichten. Israel hingegen wird weiter zu "Mässigung" in Gaza aufgerufen. Es ist einfach unerhört.

An diesem Montag fallen neun israelische Soldaten. Die Meldungen mit ihren Namen und Bildern überschlagen sich. Viele weitere werden schwer verletzt, darunter Idan Amedi, der bekannte Sänger und Schauspieler, den viele aus der Serie "Fauda" kennen. Idan ist ein begabter Musiker, alle Israelis kennen und lieben seine Musik. Immer wieder gibt Idan Benefizkonzerte für Soldaten, während er selbst als Soldat der Reserve in einer Kampfeinheit dient. Sein Einsatz für die Soldaten wird von jedermann hoch geschätzt, vor allem aber von den Soldaten selbst. Der begabte 34-jährige ist ausserdem ein Meister der Kampfsportarten, er gewann 2005 den Titel des israelischen Vizemeisters im Taekwondo. Vor einigen Jahren hatte ich das Vergnügen, Idan an einem Vortrag sprechen zu hören und seither fühle ich eine besondere Verbindung zu dem sympathischen Mann. Idan ist verheiratet und Vater einer fünfjährigen Tochter.

Nach seinem früheren Militärdienst ist das Lied "Schmerz der Krieger" entstanden.



Der erste Abend allein,
Ich sitze da und schreibe dir einen Brief
Über all die Dinge, die waren
Über alles, was passiert ist

Buchstaben erscheinen an der Wand
Ich bin die Angst, es ist mir ein Vergnügen!
Die Figuren tanzen,
Bewegen sich hier im leeren, leeren Haus

Und du, du weisst nicht, wie viel
Ich versucht habe, zu verstecken
All die Albträume in der Nacht
Schreie und Blut auf der Uniform
Und du, du verstehst nicht mehr
Warum ich schon lange nicht mehr derselbe bin
Die Bilder dieser Nacht jagen sich
Tränen, Schmerz der Krieger

Es ist der erste Abend an dem du dort bist
Ich liege da und denke nach, kann nicht einschlafen
Die Stille spielt eine langsame Melodie
Ich widme dir ein Lied ohne Titel
Lied ohne Titel

Und du, du weisst nicht, wie viel...
Der erste Abend allein,
Ich sitze da und schreibe dir einen Brief

Ich bete für ein Wunder, damit Idan Amedi wieder gesund wird. Hamas – ihr nehmt uns unsere Kinder, Frauen und Alten. Hamas – ihr nehmt uns unsere schönsten jungen Männer und Frauen im Krieg. Bitte nehmt uns nicht Idan. Bitte nehmt uns nicht die Musik!

Ebenfalls an diesem Montag zirkulieren Aufnahmen der achtzehnjährigen Liri und der neunzehnjährigen Karina, Agam und Daniela durch die Medien. Die vier Mädchen sind am 7. Oktober von Hamas-Terroristen brutal misshandelt, verletzt und in den Gazastreifen verschleppt worden. Dort werden sie seit mehr als 90 Tagen festgehalten, ohne irgendeine Nachricht an die Eltern oder Angehörigen. Das von der Hamas veröffentlichte Video zeigt die blutverschmierten Gesichter der Mädchen. Der Schrecken, der ihnen ins Gesicht geschrieben steht, ist nicht einmal für Betrachter auszuhalten. Karina's Körper ist bis zum Hals mit einem schmutzigen, blutbefleckten Tuch bedeckt, wer weiss, was sich darunter versteckt. Bis sie am 7. Oktober verschleppt wurden, haben die Mädchen ihren Militärdienst in Nahal Oz absolviert, in einer ähnlichen Kontrollfunktion, die auch meine Tochter vor zwei Jahren noch ausgeübt hat. Ich kann mich gar nicht genug in die Arbeit oder andere Ablenkungen stürzen, man kann den Fotos und den Gedanken an die Mädchen nicht entkommen. Es ist der blanke Horror. Sie und alle Geiseln müssen endlich freigelassen werden!

3 Kommentare:

anne.c. hat gesagt…

Ich lese jeden Tag, was in deutschsprachigen Blogs aus Israel geschrieben wird und wir hören jeden Abend den Podcast von Arye Shalicar über den Kriegsverlauf. So sind wir informiert, aber wir sind traurig, dass wir so gar nichts machen können. Außer immer mal Geld spenden, uns informieren, mitdenken, mitfühlen. Dabei hilft auch Dein Blog. Über die Empathielosigkeit der deutschen Regierung, und der meisten Medien kann man sich einfach nur schämen. Ich schreibe auch einen Blog, in dem ich u.a. dazu Stellung nehme. (luftreich.twoday.net/)Anne

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Anne, danke, vor allem für das mitdenken und mitfühlen, das hilft mir persönlich am meisten. Für internationale Meinungen, Berichterstattung und Politik habe ich ehrlich gesagt keine Kraft. Ich weiss, dass die "Weltmeinung" mindestens so katastrophal ist wie das Pogrom, der Krieg und die momentane Lage im Nahen Osten selbst. Deshalb kann ich mich damit nicht beschäftigen, meine Schmerzgrenze ist leider schon überschritten.
Danke auch für den Bloglink, ich lese gerne mit!

Schreibschaukel hat gesagt…

Unerhört in der Tat.