Mittwoch, 12. Oktober 2022

Das Passwort zum Hamsterrad




Die Flugtickets buchten wir im April. Damals schien der Urlaub Ende September nicht absehbar. Lange Monate des Wartens und der Vorfreude vergingen im Schneckentempo. Die Sommermonate waren arbeitsreich. Ich sass am Schreibtisch, während viele meiner Mitarbeiter wegfuhren und braungebrannt wiederkamen. Mit einer Vollzeitstelle, vielen Überstunden und Hausarbeit am Wochenende bleibt nicht viel Freiraum für Ausbrüche aus dem Alltag. Oft habe ich das Gefühl, dass mein Leben aus Schlafen und Arbeiten besteht. Ich finde nicht einmal Zeit, den verdienten Lohn zu verprassen und zum Glück auch kaum Zeit für die Frage nach dem Sinn.

September. Die Reisedaten rückten näher, der Urlaub wurde greifbar, die Vorfreude stieg. Als die Tage vor der Reise an den Fingern einer Hand abzählbar waren, verbrachte ich schlaflose Nächte vor Freude und Aufregung.

Dann endlich, kaum zu glauben, ging es los. 

Weitläufige Flughäfen, Menschen in seltsamer Kleidung, unbekannte Städte. Fahrten durch unbetretene Landschaften. Unendlicher Wald in Herbstfarben. Fremdartige Dörfer, seltsam gebaute Häuser. Ungewohnte Schriften. Seen, Flüsse, felsige Strände. Versteckte Buchten, glitzernde Sonne im Meer. Farbige Märkte. Eine unbekannte Sprache, offenherzige Menschen. Fremde Speisen, die entdeckt werden wollen. Hotels, zu weiche Betten, unbequeme Kissen. Aufstehen am Morgen und in den Tag hinein leben. Familie, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Gute Laune, Ferienstimmung. Geburtstagsfeiern, unser Hochzeitstag. Zeit haben füreinander.


Mit näher rückendem Ende des Urlaubs verging die Zeit immer schneller. Viel zu plötzlich wieder der Rückflug. Am Flughafen der Sohn, der nach einem halben Jahr in Mittelamerika wieder zu Hause ist. Gäste zum Laubhüttenfest.

Unzählige neue Eindrücke, Erlebnisse, Abenteuer. Tage des Staunens und Geniessens, ohne Blick auf die Uhr.

Ich kann nicht behaupten, dass ich mich keinen Moment um die Arbeit gekümmert hätte. Ab und zu überflog ich die E-Mails auf dem Handy, die wichtigsten beantwortete ich. Offensichtliche Krisen gab es keine und den grössten Teil der Zeit konnte ich wirklich abschalten. Innehalten von allem, das mich in normalen Zeiten fast rund um die Uhr beschäftigt.


Aber irgendwann ist er da, dieser Moment. Der Moment, in dem ich mich wieder vor den Computer setze und mich einlogge.

Ich zögere einen Augenblick. Muss das sein? Nie ist mir diese Passworteingabe schicksalshafter vorgekommen. Die Diskrepanz zwischen allen Raum einnehmendem Alltagstrott und dem grenzenlosen Abenteuer Urlaub ist gigantisch und auffälliger denn je.

Dann gebe ich das Passwort ein. Das Hamsterrad setzt sich in Bewegung.



1 Kommentar:

https://das-Altersheim-und-ich.de hat gesagt…

Guten Morgen und glaube bloss nicht dass das Hamsterrade sich im Altersheim nicht weiter bewegt. Manchmal fragae ich mich was ich eigentlich tue - Arztbesuche, Physio, Freunde, Aktivitäten. Manchmal möchte ich das Rad anhalten und nur auspusten aber dann kommt der Schreck - L A N G E W E I L E... soll gesund sein, aber für mich äusserst schädlich..Wie hast Du meinen Blog gefunden? das-Altersheim-und ich. freue mich über Deinen Kommentar, danke!