Mittwoch, 5. April 2017

WMDEDGT 04/2017

Frau Brüllen fragt wie jeden Monat in ihrem blog "Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?" und diesmal bin ich dabei.

06:30 Heute wache ich mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Leider zwingt mich die Arbeit mit Mitarbeitern in den USA immer öfter dazu, meinen Tagesplan auf EDT (Eastern Daylight Time) auszurichten. Ich werde mir deshalb heute erlauben, etwas später zur Arbeit zu fahren, denn die Hausarbeit kommt zu kurz. Lianne ist gestern abend mit einem Riesenberg Wäsche von einem Pfadfinder-Ausflug zurückgekehrt und morgen bricht sie schon wieder zu einem weiteren Ausflug auf. Noch schlaftrunken kümmere ich mich also zuerst um die Wäsche. Etwa zehn Paar schmutzige Socken werfe ich ungewaschen zurück in Lianne‘s Zimmer. Sie kennt die Regel genau, aber das Spiel wiederholt sich seit Jahren: ich wasche keine verkehrt herum ausgezogenen Socken!

07:00 Frühstück und Kaffee. Ich geniesse es, zuhause zu frühstücken und nicht, wie sonst üblich, im Büro vor dem PC. Eyal steht nun auch auf und begrüsst mich mit einem gutgelaunten „Guten Morgen“ auf deutsch mit verführerischem israelischen Akzent.

07:30 Eyal’s Bruder ruft an, um uns über einen Verkehrsunfall zu informieren, der sich vor wenigen Minuten an der zentralen Kreuzung in der Region ereignet hat und nun den gesamten Morgenverkehr lahmlegt. Ich werde wohl heute länger als geplant zuhause bleiben. Später erfahren wir, dass zwei junge Männer bei dem Unfall ums Leben gekommen sind. Schrecklich! Das wird mich den ganzen Tag verfolgen.

08:00 Ich mache mich ans Wäsche aufhängen und stelle auf dem Wäschebalkon fest, dass der Schlafsack, den Lianne gestern Abend zum auslüften aufgehängt hat, verschwunden ist. Es windet stark heute morgen... Blick nach unten: nichts! In den Vorgärten unserer Nachbarn: nichts. Ah, da ist er, auf dem Garagedach unserer Nachbarn. Eyal - frisch aus der Dusche - und ich machen uns gemeinsam mit einem Besenstiel ans Schlafsackfischen.

Badezimmerputzen. Duschen

09:00 Ich beschliesse, mich trotz Stauwarnungen auf die Strassen zu wagen. Die Situation ist wirklich sehr verfahren, die zentrale Kreuzung , welche unsere Ortschaft mit der Schnellstrasse verbindet, ist total verriegelt. Ich fahre auf Schleichwegen „hintenherum“, bin aber wohl nicht die Einzige, denn auch da ist der Verkehr sehr stockend. Unterwegs denke ich an die zwei jungen Männer, 24- und 28-jährig, die sich heute Morgen rasiert, geduscht und für die Arbeit angezogen haben, ahnungslos losgefahren sind, unterwegs wahrscheinlich Musik im Radio gehört, etwas geplaudert und Witze gemacht und dann ihr Leben unter einem Traktor gelassen haben. Der Raubvogel hat zugeschlagen.

09:30 So schlimm war der Stau dann doch nicht, ich bin im Büro und werkle vor mich hin.

10:00 Unsere Firma bietet einen Vortrag über „Mindfulness“ an. Mindfulness (deutsch: Achtsamkeit), erklärt uns die Rednerin, ist eine Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseins­zustand. Sie verspricht dem aufmerksamen Publikum mehr Zufriedenheit im Leben, wenn man sich, wenn immer möglich, bewusst auf den gegenwärtigen Moment bezieht, statt auf die Vergangenheit oder die Zukunft. Achtsamkeit, Nachhaltigkeit – Modebegriffe in unserer schnelllebigen Zeit.

11:30 Aus dem Internet erfahre ich, dass in Kfar Saba eine 65-jährige Frau von einem Baum, der den starken Winden nicht standgehalten hat, erschlagen worden ist. Was ist das nur für ein Tag! 65 ist bei uns Pensionsalter. Bestimmt hat die Frau viele Jahre auf den Ruhestand gewartet, um sich endlich den Dingen widmen zu können, die sie ein Leben lang aufgeschoben hat. Hoffentlich hat sie wenigstens achtsam gelebt.

12:00 Mittagessen in der Konzernkantine

13:00 Kaffee und Schokolade und weiterwerkeln am PC.

15:30 „Working meeting“ mit Vorgesetztem (in den USA) und Mitarbeiterin (in Israel) um einige anfallende problematische Dokumente zu besprechen.

17:00 Der Boss hört wieder einmal nicht auf zu reden und ich unterbreche ihn, weil ich einen Termin beim Friseur habe. Das Privatleben ruft!

17:15 Auf dem Nachhauseweg denke ich wieder an die beiden Männer von heute Morgen und versuche, achtsam die Musik beim Autofahren zu geniessen.

17:30 Der Friseur schnipselt meine Haare in Form und rügt mich wegen der schlechten Haarfarbe, die ich natürlich selbst verbrochen habe. Ja, ich weiss, mein gelbes Aschblond und der graue Ansatz, der immer wieder nachspriesst, sooft ich auch färbe, sieht wirklich ziemlich schäbig aus, aber ich kann doch nicht jeden Monat hunderte von Schekeln für professionelles Haarefärben ausgeben! Mir ist die Färberei schon lange verleidet und gerne würde ich mein natürliches Grau zur Schau tragen, aber wie schafft man nur den Übergang? Der Friseur schlägt ein „Entfärben“ vor, ein Vorgang, bei welchem dem Haar die chemische Farbe entzogen wird, um zur Naturfarbe zurückzukehren. Ich bin misstrauisch, werde diese Möglichkeit aber in Betracht ziehen.

Sonnenuntergang unterwegs
18:15 Endlich zuhause. Ich richte uns einen grossen Salat mit Ei an und esse mit Sivan und Lianne. Sivan dreht nach zweimonatigem intensivem Lernen für den psychometrischen Test (den man hier für die Aufnahme an die Universität braucht) langsam durch. Die letzten Tage vor der Prüfung übermorgen sind ein einziger Lernmarathon und sie ist aufgeregt und hat nichts anderes mehr im Kopf. Lianne hingegen schildert ihre Erlebnisse mit den Pfadfindern. Sie erzählt, dass sie auf dem Ausflug eine Freundin aus einem Nachbarort getroffen hat. „Stell dir vor, was für ein Zufall!“ sagt sie „Wie gross ist die Chance, dass ich ausgerechnet Shira treffen würde...“

„Ich kann dir das genau berechnen!“ wirft Sivan ein und holt sich nun von Lianne tatsächlich alle relevanten Zahlen ein, um die statistische Möglichkeit zu berechnen, dass Lianne auf einem Pfadfinderausflug Shira trifft.

20:00 Ich helfe Lianne mit den Vorbereitungen für den morgigen Ausflug.

21:00 Eyal trifft endlich ein und wir unterhalten uns ein wenig, dann schreibe ich diesen Beitrag, surfe durch die sozialen Netzwerke und gehe schlafen. Gute Nacht!

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