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Mittwoch, 8. Februar 2017

Jahrtag

Genau heute vor einem Jahr, um 12 Uhr mittags, blickte ein ein dreister Arzt auf seinen Bildschirm und sagte dann zu mir „es ist Krebs“.

Ein Anlass zum Feiern ist dieser Jahrtag nicht. Aber sicherlich ein Tag, der für mich sehr bedeutungsvoll ist. Natürlich war ich schockiert: Ich und Krebs, das konnte doch nicht sein. Ernsthaft krank? Das waren Andere. Der Krebsbescheid traff mich aus blauem Himmel. Ich wusste kaum etwas über Krebs, konnte eine Strahlen- nicht von einer Chemotherapie unterscheiden. Was ging mich das an? Nur alte und kranke Leute gabelten sich Krebs auf und zu denen würde ich nicht einmal in sehr ferner Zukunft gehören. Schliesslich bekam ich kaum mal einen Schnupfen und ich fühlte mich jung und stark, war sportlich und ernährte mich gesund.

Dann wurde mir dieses Gefühl sorgloser Sicherheit von einer Sekunde auf die andere genommen. Mit den Worten „es ist Krebs“ bekam ich den Pass für die Reise in ein anderes Land, das Krebsland. Die Pforten öffneten sich und ich wurde in die Welt der Kranken katapultiert.

Ich hatte Angst. Was, wenn das Tumörchen in der Brust nur die Spitze des Eisbergs war? Wie würde ich eine Chemotherapie überstehen? Wie würde meine Familie damit klarkommen?

Es folgte eine nicht enden wollende Zeit der Ungewissheit, Sorgen und schwarzer Gedanken, bis sich, mit Eintreffen der Befunde und Aussagen der Ärzte langsam herausstellte, dass ich vielleicht nicht so schlimm dran war. Zum Glück hatte ich die Routine-Untersuchung nicht vernachlässigt und der Tumor wurde früh genug entdeckt. Heute weiss ich, dass die Heilungschance bei Brustkrebs 80% beträgt. An die anderen 20% mag ich gar nicht denken.

Aber nach der OP und der Strahlentherapie folterte mich die Frage nach dem Warum. Warum Krebs? Warum ich? Trage ich Schuld an meiner Krankheit? Zuviel Zucker, Fett, Weissmehl, Würste, Hormone, Funkantennen, elektromagnetische Strahlung?

Und abgesehen von äusserlichen Krebsverursachern – gibt es Zusammenhänge zwischen unserem seelischen und unserem körperlichen Befinden? Kann uns unsere Psyche krank machen? Wenn man schon an Krebs erkrankt ist, können solche Theorien sehr beunruhigend wirken. Fördern wir die Krebsbildung, wenn wir auf Dauer unzufrieden sind, und vor allem - auch wenn wir uns dessen vielleicht gar nicht bewusst sind? Schliesslich gibt es keinen Massstab für Zufriedenheit oder seelischen Stress und der Mensch ist ein wahrer Künstler darin, sich mit den absurdesten Lebenssituationen abzufinden und sich immer noch vorzugaukeln, dass alles in bester Ordnung ist.

Unterdessen habe ich mich damit abgefunden, dass es auf diese Fragen wohl keine Antwort gibt und ich gebe mir grosse Mühe, mich von ihnen nicht in den Wahnsinn treiben zu lassen. Es ist beruhigender, zu denken, dass ich einfach das falsche Los gezogen habe. Ja, ich bevorzuge den Glauben an das Zufallsprinzip, es befreit mich von Schuld und Verantwortung.

Ich bin wieder gesund - aber ich stehe heute mit viel wackligeren Beinen im Leben. Die alte Sicherheit ist futsch - sie war ja auch nur eine Illusion. Wir nehmen täglich an vielen Lotterien des Lebens teil, ohne es zu ahnen.

Im Nachhinein weiss ich, dass ich sehr viel Glück gehabt habe und glimpflich davongekommen bin. Schlussendlich waren die Monate der Krankheit nicht viel mehr als ein schlechter Traum, den mir das Leben auf die Tagesordnung gesetzt hat. Aber ein Traum, der mich kräftig durchgeschüttelt und mich dazu bewogen hat, vieles neu zu überdenken.

Dienstag, 17. Januar 2017

Schlomi

Während wir unserem Alltag nachgehen, uns um Nicht- und Wichtigkeiten kümmern, kreist über unseren Köpfen ein Raubvogel, der sich ab und zu nach unten stürzt und aufs Geratewohl einen von uns herauspickt. Hier ein tödlicher Unfall, da ein Lotteriegewinn, hier eine schlimme Krankheit, da eine verhängnisvolle Begegnung.

Heute hat der Raubvogel sich unseren Freund Schlomi herausgepickt. Schlomi war zwei Jahre jünger als ich und ist heute an Knochenkrebs gestorben. Ruhe in Frieden, Schlomi.

Freitag, 7. Oktober 2016

Fragen

Eine Krebserkrankung bringt für die meisten Betroffenen viele Fragen mit sich. Warum Krebs? Warum ich? Warum dies? Warum jenes?

Ich war schon vor meiner Brustkrebs-Erkrankung ein Mensch mit vielen Fragen und die Krankheit erschütterte in meinem Leben noch zusätzlich Einiges, von dem ich nie gedacht hätte, dass daran etwas zu rütteln wäre.

Und nun? Wie kann ich das Schlechte aussondern, ohne vorher mein Leben zu entflechten? Muss ich nun alles aufarbeiten? Lösungen finden? Forschen, bis alles schön säuberlich auf dem Tisch liegt und in die richtigen Schubladen einsortiert werden kann?

Nur etwas wird mir in den letzten Wochen immer klarer: dass ich mich mit vielen Fragen im Moment gar nicht auseinandersetzen möchte. Vielleicht macht es mir ein wenig Angst, Antworten zu finden, die ich nicht wahrhaben will und ausserdem habe ich eine leise Ahnung, dass es keinen Zustand der absoluten Klarheit gibt. Heute habe ich bei Rainer Maria Rilke einen wunderschönen Hinweis darauf gefunden, dass ich damit vielleicht gar nicht so falsch liege:

An Franz Xaver Kappus

z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903

…Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein….

Rainer Maria Rilke