Seit einigen Jahren lasse ich meine relativ kurzen Haare nur von der Coiffeuse meines Vertrauens in der Schweiz schneiden. Die zuvorkommende Bedienung und die absolut zufriedenstellende Leistung sind mir den höheren Preis wert. Die Coiffeuse ist begabt und technisch kompetent, sie hat ihr Zeitmanagement bestens im Griff und plant ihre Termine so umsichtig, dass ich nie eine andere Kundin antreffe. Die Atmosphäre im kleinen Salon ist ruhig und angenehm. Der Besuch beginnt mit einem Beratungsgespräch, in welchem die gewünschte Frisur basierend auf Erfahrungen und Resultate vom letzten Mal besprochen und im Detail geplant wird. Dann werde ich mit einer liebevollen Haarwäsche mit betörend riechenden Haarpflegemitteln verwöhnt. Beim Schneiden geht die Coiffeuse sorgfältig auf jede einzelne Strähne ein, sie arbeitet sich strategisch und gleichzeitig äußerst kreativ rund um meinen Kopf und setzt in präziser Arbeit ihre Vision um. Am Schluss ist meine Frisur immer perfekt, top modern, genau richtig in der Länge und ich fühle mich wunderschön.
Nun scheint einzutreffen, was ich befürchtet habe: Ausgerechnet für die Hochzeit meiner Tochter werde ich mich mit Coiffeur Rami in Netanya begnügen müssen, dem Meister der Improvisation.
In den vergangenen zwei Wochen hatte ich täglich die Flugangebote in die Schweiz unter dem Radar. Doch die Situation ist mit dem momentanen Aussetzen mehrerer Fluggesellschaften äußerst prekär. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass aus einem Sprung zur Coiffeuse in der Schweiz vor der Hochzeit nichts mehr wird. Und so betrat ich diese Woche mit mulmigem Gefühl Ramis Salon in Netanya, um mit ihm mein Haardesign für die Hochzeit in die Wege zu leiten.
Ein Besuch bei Rami in Netanya ist eine authentische israelische Erfahrung. In den bald 40 Jahren, in denen ich in Israel lebe, habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können, ob es hier Usus ist, sich beim Coiffeur anzumelden oder nicht. Manchmal tue ich es, manchmal nicht - es macht überhaupt keinen Unterschied. Immer sitzen schon einige Frauen auf den wenigen Sitzgelegenheiten und warten, bis sie von einem der beiden Coiffeure, zwei Brüdern, bedient werden, und so auch ich. Rami wäscht mir die Haare so lieblos, dass mir seine Frau ernsthaft leid tut. Irgendwelche Wünsche betreffend der Frisur anzubringen, ist völlig sinnlos. Rami klopft höchstens einen flotten Spruch. Beim Frisieren vermitteln mir seine Körpersprache und sein Stil, dass er keinen Plan, keine Kontrolle und keine Übersicht hat. Er schneidet einfach drauflos, ganz nach dem Motto, irgendwie schaukeln wir das schon!
Ich habe enorme Mühe mit dieser demonstrativen Lässigkeit. Improvisation und Nonchalance mögen ja gut und schön sein, sind aber einfach nicht immer angemessen. Wenn ich mich zum Beispiel einer komplizierten Herzoperation unterziehen muss, finde ich Kompetenz und Präzision wichtiger. Ebenso bei meiner Frisur. Aber Rami fährt mir mit der Schere ins Haar, dass mir der Atem stockt. Er wirft die Schere locker von Seite zu Seite, schneidet hier ein bisschen und da ein bisschen. Unterdessen unterhält er sich mit den anderen Kundinnen, Bekannte kommen vorbei, um mit ihm zu plaudern, und zweimal beantwortet er das Telefon. Die Nachbarin des Salons bittet dringend um Hilfe, sie hat eine Eidechse in der Wohnung. Ich rechne es Rami hoch an, dass er mich nicht mit der halbfertigen Frisur zurücklässt, sondern seinen Bruder auf die Rettungsaktion schickt.
Ehrlicherweise muss ich anfügen, dass ich mit dem Resultat meistens überraschend zufrieden bin, sonst käme ich garantiert nicht mehr wieder. Als eingefleischte Schweizerin finde ich einfach das Gefühl, etwas nicht wenigstens einigermaßen unter Kontrolle zu haben, sehr beunruhigend.
Während ich bezahle, bläue ich Rami ein, dass er sich ja meinen geplanten Besuch am Tag der Hochzeit im Terminkalender vormerken und rot einrahmen soll. Dabei suche ich die Theke verstohlen nach einem Kalender ab – aber dort liegt nichts, nicht einmal ein Kugelschreiber.
Ja, ja, sagt er, ruf mich doch einfach zwei oder drei Tage vorher an. Jetzt weiss ich, dass er gar keinen Terminkalender hat.
3 Kommentare:
Geh ruhig öfters zu Rami - ich habe gerade sehr gelacht. (Vielleicht kannst du mir aber trotzdem mal deine Geheimadresse aus der Schweiz verraten, weil es bei mir mal wieder voll daneben ging. Und es war nicht mal besonders unterhaltsam...)
Die Adresse gebe ich dir gerne an. Aber ob du dafür extra nach Basel reisen möchtest? Dann doch lieber nach Israel!
Stimmt - da begegnen mir auch keine Palästinenserflaggen.
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