Montag, 19. Mai 2025

Big Glilot

Am Samstagabend entführen mich meine Töchter nach "Big Glilot", den neuesten Mega-Shoppingtempel in Israel. Hier locken unzählige weitläufige Läden in zweistöckigen Gebäuden in Form einer architektonisch raffiniert geplanten kleinen Stadt. An diesem Samstagabend ist der sensationelle neue Einkaufspalast proppenvoll. Kauffreudig flanieren die Israelis auf europäisch chicen Promenaden, zwischen plätschernden Zierbrunnen und -becken, Ruhebänken und auf Galerien mit Balustraden in elegantem Design. Sie pilgern in Scharen herbei, vergnügen sich in den Läden und Restaurants und stehen willig vor den Ankleidekabinen und Kassen zu Dutzenden Schlange. 


Ich bin überwältigt von den Menschenmassen und der Grösse und Eleganz des Einkaufszentrums. Gleichzeitig wundere ich mich, warum gerade mehrere Fluggesellschaften ihren Flugstopp nach Israel verlängert und damit meinen Schweizer Hochzeitsgästen endgültig die Anreise an unser Fest am Donnerstag vereitelt haben. Sieht so etwa ein gefährliches Touristenziel aus? 

Schwarz gekleidete Angestellte schweben auf elektrischen Rollern über die Gehwege, beantworten Fragen, geben Auskunft und lesen den Besuchern jeden Wunsch von den Lippen ab. Wie überall in Israel sieht man auch hier viele Araber, erkenntlich vor allem an den züchtigen Kopfbedeckungen der Frauen. Doch hier scheint eine ganz andere Gruppierung von Menschen unterwegs zu sein, als ich sie aus meinem gewohnten Umfeld kenne: Die Kleider sind zwar sittsam lang, aber erkenntlich teuer und modern. Schuhe von Dior, Brillen und Taschen von Prada und Gucci werden zur Schau getragen. Ein Shoppingtrip nach Dubai war nie auf meiner Löffelliste, doch nun habe ich ihn offensichtlich trotzdem bekommen. 
Der Laden der Modekette Zara umfasst drei Stockwerke. Auf dem grossflächigen Vorhof stehen mehrere Luxuskarossen, die man gleich auch noch kaufen kann. Ich bräuchte eigentlich nur Nachschub für meine übliche (billige) Feuchtigkeitscrème, doch sogar mein gewohnter Drogeriemarkt ist hier zum Luxuspalast geworden. In der Eingangshalle werden nur teuerste Parfums angeboten. Das Parfum meiner Träume wird von einem breitschultrigen uniformierten Mann bewacht. Eingeschüchtert von soviel unerschwinglichem Luxus mache ich mich gleich wieder aus dem Staub. Die Crème kann ich ja anderswo kaufen. 
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was für eine bizarre Parallelwelt! Das wirft Fragen auf. Wie viele Kleider und Schuhe kann man sich eigentlich noch kaufen? Hier kann niemand mehr übersehen, dass sich unser gesamtes Dasein nur um Geld und Materielles dreht. Der Messias ist schon da, wir warten vergebens! Diese Stätten sind die Kulttempel unserer Generation. 
Doch bei allem Kopfschütteln kaufe auch ich einige Dinge, die ich überhaupt nicht brauche. Wie könnte man entsagen? Alles riecht so verführerisch. Im Laden meiner Lieblingsmodemarke versuche ich viermal, zum Ausgang zu steuern – jedes Mal saugt mich die Versuchung in Form eines weiteren Kleidungsstückes wieder hinein. Irgendwann schaffe ich es doch, mit Hilfe meiner Töchter. Dann lassen wir diese surreale Kultstätte hinter uns und reisen in einer vierrädrigen Zeitmaschine wieder in unsere eigene kleine Welt zurück.

Nachts weckt mich die Alarm-App, wahrscheinlich um meine Frage zu beantworten, warum die Fluggesellschaften nicht nach Israel fliegen. In Tel-Aviv und Umgebung laufen Hunderttausende in die Schutzräume. Dank dem nächtlichen Weckruf erfahre ich, dass Yuval Raphael am ESC in Basel als Publikumsliebling den zweiten Platz gewonnen hat. 

Dann schlafe ich unruhig weiter. In wirren Träumen erscheinen mir Luxuskarossen in Dubai, ein Goldesel, Israelis, die nachts um zwei in Luftschutzkellern den ESC Sieg feiern, meine Töchter in Hochzeitskleidern, Palästinenser-Flaggen in Basel, jemenitische Raketen und Swiss-Flugzeuge, die vor der Küste Israels kehrt machen.
 
Am Morgen entpuppt sich alles als wahr. Wir leben in wahrlich verrückten Zeiten.





Keine Kommentare: