Donnerstag, 24. April 2025

Wo verläuft die Grenze



Über meinen Besuch bei der Kosmetikerin und das etwas fragwürdige Resultat habe ich vor Kurzem berichtet. Nun bekenne ich: Ich habe nicht nur einen Besuch, sondern eine ganze Serie von Verschönerungsterminen gebucht! Warum? Ich bin sechzig, arbeite seit vierzig Jahren und kann mir das leisten. Man lebt nur einmal und muss ja nicht all das angescheffelte Geld den lieben Kindern vererben. Zwei Termine habe ich schon hinter mir. Jetzt ertappe ich mich öfter dabei, dass ich etwas länger und genauer in den Spiegel gucke: Sind sie etwas sanfter geworden? Etwas unauffälliger? Oder – oh Schreck – vielleicht sogar markanter? Die Falten. Sehe ich etwas frischer, etwas jugendlicher aus? Oder werde ich das wenigstens, wenn ich alle Termine hinter mir habe? Denn, falls nicht – habe ich damit ziemlich viel Geld aus dem Fenster geworfen. Die Gesichtsmassagen im kerzenbeleuchteten Raum sind jedoch wunderbar tiefenentspannend und können vielleicht – falls die Falten partout nicht verschwinden – als Alternative zu einer Behandlung von Trauma- oder Stresssymptomen betrachtet werden.

Wie es so ist mit über sechzig, betrüben mich ausser den Falten noch viele andere Sorgen und Zipperlein. Die Schmerzen in meinem linken Knie haben sich erfreulicherweise nach mehr als einem Jahr und viel Dehnungsarbeit endlich in Luft aufgelöst. Umso grösser war die Enttäuschung, als bei einem meiner ersten Laufversuche schon nach wenigen Hundert Metern die rechte Hüfte streikte. Ein stechender Schmerz zwang mich, umgehend in langsames Schritttempo überzugehen und vollkommen niedergeschlagen nach Hause zu hinken. Die Schmerzen blieben hartnäckig mehrere Tage und ich fühlte mich einfach nur noch alt. Es kann doch nicht sein, dass ich meinen geliebten Laufsport jetzt schon aufgeben muss! Ich habe auch keine Geduld mehr, noch einmal mehrere Monate auf Besserung zu warten. Jetzt musste eine sofortige Lösung her!

Leider bin ich aber auch geistig nicht mehr so flink, und so verwechselte ich Chiropraktik mit Osteopathie. Erst nachdem ich wild entschlossen einen Termin bei einer Osteopathin ergattert hatte, dämmerte mir, dass es sich dabei gar nicht um die gewünschte sofortige Wunderheilung handelte, die mir ein Chiropraktiker mit wenigen Handgriffen hätte besorgen können.

Und so lag ich also an einem Morgen bei einer Handauflegenden Frau auf dem Behandlungsbett. Sie klärte mich auf, dass sie mithilfe von Ertasten und Mobilisieren meinen Körper zu stimulieren und Blockaden zu lösen versucht. Ich gebe mir wirklich grösste Mühe, offen zu sein für alternative Behandlungsmethoden – schliesslich sind diese nicht nur mein letzter Rettungsanker, sondern kosten auch eine beträchtliche Summe Geld. Mit den herkömmlichen Orthopäden und Physiotherapeuten habe ich nämlich schon lange abgeschlossen.

Was soll ich sagen? Fühlte ich wirklich etwas Besonderes an den Stellen, an denen sie mich berührte? Spürte sie wirklich etwas, wenn sie behauptete, sie ertaste verhärtetes Gewebe? Oder band sie mir einfach unverfroren einen Bären auf? Hat sie eine besondere Gabe in ihren Händen oder hätten meine Hände dieselbe Wirkung? Reicht es, wenn sie von der Behandlung überzeugt ist, oder ist es zwingend notwendig, dass ich auch daran glaube? Viele Fragen. Die Antworten werden sich vielleicht irgendwann einmal ergeben. Vielleicht auch nicht. 
Mir war leicht schwindlig und heiss, als ich das Behandlungszimmer verliess. Das könnte aber auch mit dem "Chamsin" zu tun haben, der uns an diesem Tag trockene Luft und Temperaturen um die 40 Grad bescherte. Natürlich erklärte mir auch die Osteopathin, dass ich mehrere Behandlungen werde über mich ergehen lassen müssen, bis ich eine Besserung erwarten könnte.

Zum Abschluss bleibt eine Frage, die sich wohl jeder selbst beantworten muss: Wo verläuft die Grenze zwischen Selbstheilung, den Möglichkeiten der Alternativmedizin und Scharlatanerie?







2 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Für mich ist das mit der Grenze so: Was mir gut tut, wie auch immer, das gönne ich mir. Und wenn's bloss mein Glaube dran ist - so what! :-)

Yael Levy hat gesagt…

Das gilt auch für mich, liebe Schreibschaukel: Was mir gut tut, gönne ich mir. Nur habe ich in diesem Fall bei der Osteopathin trotzdem Zweifel. Ich war mir nicht sicher, ob die Behandlung irgendetwas tut.