Donnerstag, 5. Juni 2025

Ein fragwürdiges Jubiläum

Als unsere Zeitrechnung ins Jahr 2000 überging, befürchteten die Industrienationen ein globales Fiasko aufgrund weitreichender Softwareabstürze. Entgegen aller Erwartungen verlief der Übergang reibungslos, doch für mich persönlich brachte er in den ersten Tagen des neuen Jahres einen Lebens-prägenden Neubeginn.

Nach der Geburt des zweiten Kindes und zweieinhalb Jahren Babypause fand ich endlich eine neue Arbeit. Alle vorherigen Möglichkeiten hatte ich ausgeschlagen, denn nichts schien mir damit vereinbar, dass ich jetzt für zwei kleine Kinder und den Haushalt einer Familie verantwortlich war. Doch dann legte mir das Schicksal ein Angebot in einer angesehenen internationalen Firma vor die Füsse, das ich nicht ablehnen konnte.

Einige Monate nach Arbeitsanfang und Anstellung über eine Vermittlerfirma folgte die Festanstellung. Danach vergingen einige Tage, Wochen, Monate und – schwups! landete vor einigen Tagen eine E-Mail in meiner Mailbox, in der mir mein Arbeitgeber zum 25-jährigen Dienstjubiläum gratuliert.

Ich bin alles andere als stolz darauf, fast ewig beim selben Arbeitgeber hocken geblieben zu sein. Das zeugt nicht gerade von Flexibilität und Mut zum Abenteuer.


Wer will schon so einen Grabstein?

Immerhin darf ich mir anrechnen, dass ich in ferner Vergangenheit den Umzug in ein fremdes Land gewagt habe. Dieser Perspektivenwechsel hat meinen Lebenshorizont ins Unermessliche bereichert. Doch ich befürchte, dass auch diese Änderung bei mir nicht unbedingt mit Pioniergeist zu tun hatte, sondern eher mit reichlich Naivität und der Unfähigkeit, vorauszudenken.

Seien wir ehrlich – eine sehr wagemutige Draufgängerin bin ich nicht. Es gab da und dort einige Versuche, berufliche Änderungen vorzunehmen, doch schlussendlich schaffte ich den Absprung nie. Obwohl es ärgerliche Phasen, Mitarbeiter oder Vorgesetzte gab, waren diese Firma und mein Job einfach immer zu bequem und zu passend für mich. Bei persönlichen Belangen und Bedürfnissen, in Zeiten von Krankheit, der Geburt des dritten Kindes und überhaupt als Mutter von kleinen Kindern, kam mir die Firma immer sehr grosszügig entgegen. Dazu kommen das internationale Umfeld, der kurze Arbeitsweg, die vorteilhaften Bedingungen, der sichere Lohn, die ganz akzeptable Kantine – kurzum ein mehr als zufriedenstellendes Gesamtpaket.

Natürlich waren die 25 Jahre auch stets von beruflichen und persönlichen Änderungen geprägt. Ich bin fast zehnmal in ein anderes Büro in verschiedenen Gebäuden umgezogen. Als die Firma vor einigen Jahren gesundgeschrumpft und meine gesamte Abteilung aufgelöst wurde, bekam ich als einzige meines Teams eine weitere Chance und startete in einer anderen Abteilung in eine neue Karriere.

Ich konnte beruflich mehrere Male in die USA und verschiedene Länder Europas reisen. Ich bin auf Kosten der Firma Business-Class geflogen, habe in ausgezeichneten Restaurants gespeist und in den besten Hotels geschlafen. Was aber noch viel prägender war: Ich hatte die Möglichkeit, Menschen in den USA, in Deutschland, Frankreich, England und Kroatien als Arbeitskollegin und nicht als Touristin zu erleben. Ich habe mich in den Städten Europas in Menschenmassen eingereiht, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln frühmorgens zur Arbeit und abends wieder zurück zu pendeln. Ich habe in Firmengebäuden in Industrie-Vororten mit den Mitarbeitern in der Kaffeeküche geplaudert. In den Vororten von Philadelphia bin ich mit dem Mietwagen zur Arbeit gefahren und habe in amerikanischen Grossraumbüros braune Brühe in XXL Tassen geschlürft. Ich durfte sogar mehrere Male in die Schweiz reisen, wo die Firma in der Stadt meiner Gymi-Zeit einige Jahre über einen Firmensitz verfügte. Diese Erfahrungen brachten Abwechslung und sie begeisterten und erfüllten mich.

Seit meiner ersten Arbeitsjahre in der Firma haben globale Umwälzungen die Arbeit grundlegend verändert und ich habe die Digitalisierung einst manueller firmenspezifischer Prozesse erkundet und mitentwickelt. Später habe ich gelernt, mein Wissen weiterzugeben und bin daran gewachsen, ein Team zu leiten. Ich habe mindestens 15 direkte Vorgesetzte überdauert.



Nun habe ich hier schon fast meine eigene Abschiedsrede verfasst – aber leider muss ich noch drei weitere Jahre absitzen, bis ich rechtmässig in Rente gehen kann. Es wäre keine Katastrophe, früher aufzuhören. Zurzeit macht es Spass, nicht mehr unter Druck zu arbeiten. Ich muss keine Familie mehr miternähren und keine erfolgreiche Karriere mehr aufbauen. Ich arbeite mit dem Wissen, dass ich einfach gehen kann, falls mir jemand zu sehr auf den Wecker fällt.

Gerade in diesen Tagen bekomme ich wieder eine neue Vorgesetzte. Sie hat ihren Sitz in den USA und aufgrund der Zeitverschiebung werden wir nicht allzu viele gemeinsame Arbeitsstunden haben. Doch ich werde mir Mühe geben müssen, einen guten Eindruck zu machen. Mit 25 Jahren Dienstalter ist der Grat zwischen erfahrener und veralteter Erscheinung sehr schmal.

An schlechteren Tagen ist die grösste Herausforderung das Gefühl, dass sich alles ins Unendliche zu wiederholen scheint und dass mir manchmal einfach die Geduld ausgeht für neue Projekte. Dann bin ich versucht, draufgängerischen Arbeitskollegen, die glauben, die perfekte Lösung für irgendein Problem gefunden zu haben, den Wind aus den Segeln zu nehmen und auszurufen: Nehmt's mal locker, das war doch alles schon da!

Doch dann besinne ich mich. Natürlich werde ich auch bei diesem Projekt noch mitmachen. Einfach, weil ich es kann. Und ich werde auch weiterhin lernen, ausprobieren, Dinge hinterfragen und Prozesse erneuern.

25 Jahre mögen wie eine Ewigkeit erscheinen, doch sie waren gefüllt mit Wandel, Wachstum und wertvollen Begegnungen. Nichts Grandioses oder Umwerfendes, aber doch stetig, in kleinen, unauffälligen Schritten.


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