Am Wochenende verschlinge ich das Buch "Meine Sprache wohnt woanders" von Chaim Noll und Lea Fleischmann. Gedanken von zwei nach Israel ausgewanderten Juden, über Deutschland und Israel. Lea Fleischmann schreibt über die Armut, in welcher sie aufwuchs "Sie lehrte mich, dass das geschliffene Wort es mit funkelndem Schmuck aufnehmen kann, und sie lehrte mich, dass der Geist die Armut überwinden kann." Die beiden Autoren sind wahrlich Wort- und Sprachkünstler, sie erschaffen zusammen in vollkommener Ergänzung ein sehr poetisches Werk.
Lea Fleischmann findet in Israel den Glauben und die Spiritualität. Die Freude, mir der sie ihr religiöses Leben beschreibt, ist authentisch, nachvollziehbar und fast ansteckend.
Es tut mir gut, über die Liebe und die spirituelle Beziehung der Autoren zu Israel zu lesen, vor allem jetzt, in einer Zeit, da es nicht mehr einfach ist, das überrumpelte, geschundene, fast zerbrechende Land zu lieben. Mit meinen Schweizer Wurzeln empfinde ich es als immer bedrückender, in einem Land zu leben, das die halbe Welt vernichten will, während die andere halbe Welt der Meinung ist, Israel hätte den Krieg selbst zu verschulden oder wäre sogar der Aggressor.
Das Buch wurde 2006 geschrieben und der Rückblick ist eine aufschlussreiche Zeitreise. Obwohl der Nahe Osten schon damals eine schwierige Region war, ist seit dem Pogrom und dem gegenwärtigen Krieg alles noch radikal komplizierter. Schon 2006 schreibt Chaim Noll "in dem eskalierenden Konflikt mit der arabischen Welt, der weitgehend unser Leben bestimmt, geht es für Israel um das Überleben als Staat und als Volk." In tiefgründigen Analysen beschreibt er eingängig das komplexe Israel in Einbezug der jahrtausendealten Geschichte.
Unterdessen ist der "Konflikt" vollkommen eskaliert. Wir stehen nicht mehr am Abgrund – spätestens am 7. Oktober 2023 sind wir darüber hinaus gestürzt, seither befinden wir uns im freien Fall. Die gesamte Weltengemeinschaft rast dem Aufprall entgegen. Wie werden wir landen?
Ich weiss nicht, was Chaim Noll und Lea Fleischmann heute schreiben würden, wenn sie denn überhaupt noch Worte fänden. Doch ich blende diese Gedanken aus, versetzte mich zwei Jahrzehnte zurück und finde es mitreissend und sehr überzeugend, wie Lea Fleischmann auf Deutschland blickt und wie sie in Israel ihre Berufung gefunden hat.
So ruhig wie mein Leben ist die Situation in Israel dann aber doch wieder nicht. Immer wieder durchbrechen Düsenjäger die Stille. Vor allem abends rütteln ferne Detonationen am Fundament unseres Hauses und lassen die Wände und Fenster erbeben. Ich schrecke jedesmal hoch und wundere mich, dass alles noch steht. Und immer wieder heulen Sirenen.
Einen Abend verbringen wir bei Freunden bei der Eröffnung eines zauberhaften Kaffeekiosks, den sie mit eigenen Händen aus einem verrosteten alten Anhänger erschaffen haben. Irgendwann rattern die Handys aller Anwesenden gleichzeitig. Gespräche werden unterbrochen. Eltern rufen ihre Kinder an. Der Ort, an dem wir uns befinden, bleibt vom Alarm verschont, aber die Sirenen der umliegenden Ortschaften heulen durch die Nacht.
Lianne arbeitet an diesem Abend als Babysitter in Herzliya. Sie erzählt am nächsten Morgen, dass die zwei älteren Kinder unaufgefordert in den Schutzraum gegangen sind, als wäre es das Alltäglichste auf der Welt. Das dritte Kind, das schon schlafend im Bett liegt, trägt Lianne in den Schutzraum. Zehn Minuten später legt sie es wieder in sein Bett. Ich bewundere meine Tochter für ihre unbeirrbare Ruhe und bin gleichzeitig schockiert, wie selbstverständlich israelische Babysitter so nebenbei als lebensrettende Schutzengel fungieren.
Lianne arbeitet an diesem Abend als Babysitter in Herzliya. Sie erzählt am nächsten Morgen, dass die zwei älteren Kinder unaufgefordert in den Schutzraum gegangen sind, als wäre es das Alltäglichste auf der Welt. Das dritte Kind, das schon schlafend im Bett liegt, trägt Lianne in den Schutzraum. Zehn Minuten später legt sie es wieder in sein Bett. Ich bewundere meine Tochter für ihre unbeirrbare Ruhe und bin gleichzeitig schockiert, wie selbstverständlich israelische Babysitter so nebenbei als lebensrettende Schutzengel fungieren.
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