Gerade als ich denke, dass es nichts mehr zu schreiben gibt, weil uns der monotone Alltag wieder hat, geht der Wahnsinn von Neuem und erst richtig los. Das Spektakel hat seinen Auftakt in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag mit einer Reihe verwirrender Alarme: Zuerst zerreissen die Alarmsirenen in der Nachbarschaft die Ruhe der Nacht, dann gehen verschiedene, markdurchdringende Alarmtöne auf dem Handy los. Es sind nicht die bekannten Alarme der Heimatfront-App, die vor Raketen aus dem Jemen, dem Libanon oder aus Gaza warnen, sondern besonders beunruhigende Push-Alarme. Sie erreichen alle Handys, auch bei Leuten, die die App der Heimatfront gar nicht heruntergeladen haben (das ist an sich schon beunruhigend). Wir können die seltsamen, grellen Handy-Notwarnungen nicht einordnen und so finden wir uns Mitten in der Nacht im Schutzraum wieder, nur um kurz danach herauszufinden, dass das gar nicht nötig wäre. Eyals Bruder ruft an, um uns mitzuteilen, dass Israel einen lange geplanten Präventivschlag gegen iranische Atom- und Militäranlagen begonnen hat. Die Lage scheint ernst zu sein, der Bruder telefoniert Mitten in der Nacht aus dem Auto. Auf dem Beifahrersitz befindet sich meine Schwiegermutter. Sie ist aus dem Bett gerissen worden, um die kommenden Tage bei der Familie zu verbringen. In ihrer Wohnung in Netanya müsste die verwitwete 85-jährige sechs Stockwerke hinuntersteigen, um bei Alarm den einzigen Schutzraum des Mehrfamilienhauses aufzusuchen.
Zu uns kommen im Verlaufe des Freitags die Frischvermählten aus Tel-Aviv. Wer kann, verlässt die Stadt im Zentrum, die das bevorzugte Ziel für die Raketenangriffe der barbarischen Despoten aus dem Iran ist. Ausserdem verfügen viele Wohnungen in den älteren Gebäuden in Tel-Aviv über keine eigenen Schutzräume und die Bewohner müssen bei Alarm in die öffentlichen Bunker rennen.
Unser eigener Schutzraum wurde in friedlicheren Zeiten zu einem Arbeitszimmer umfunktioniert, er ist klein und eng. Aber notfalls finden einige Personen der Wand entlang Platz. Wir haben Stühle hineingestellt, Wasserflaschen, Handybatterien und Notlampen.
In der Nacht auf Samstag feuert der Iran mehrere Salven ballistischer Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung ab. Immer wieder reissen uns die Sirenen aus dem Schlaf.
Am Morgen erfahren wir, dass einige der Raketen nicht abgewehrt werden konnten. Es gibt Tote, viele Verletzte und beträchtlichen Sachschaden.
Der Samstag verläuft ruhig, vielleicht aufgrund des schiitischen Feiertags im Iran. Wir betreiben die perfekte Realitätsflucht: Den ganzen Tag gehen Freunde der Kinder ein und aus. Sie sitzen im Garten zusammen, unterhalten sich, essen und trinken und spielen mit ihren Kindern. Die unerwartete familiäre Quality-time ist erfreulich, doch die Anspannung bleibt. Ist es die Ruhe vor dem Sturm?
Am Shabbatende richten wir für die offizielle Durchsage des Armeesprechers den TV-Projektor in der Stube ein. Diese Woche findet kein Unterricht statt und nur als unentbehrlich eingestufte Organisationen dürfen arbeiten. Der Luftraum bleibt bis auf Weiteres geschlossen, der Flugbetrieb ist eingestellt. Genaue Anweisungen für das Verhalten bei Alarm werden durchgegeben. Was erwartet uns diese Nacht?
Ich bete, dass wir alle geschützt bleiben und dass niemand zu Schaden kommt. Doch vor allem hoffe ich von ganzem Herzen auf den Erfolg der militärischen Massnahmen und dass sie nicht nur der Sicherheit Israels dienen, sondern auch dem Wunsch des iranischen Volkes nach Freiheit entgegenkommen werden.
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